Gesichter einer Szene No.35

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Jeannine wollte am Meer fotografiert werden. Nun, dieses würde mich in logistische Nöte bringen, wäre sie nicht meine Frau und würden wir nicht irgendwann im Sommer an die polnische Ostsee fahren. Ende August war es dann soweit und der Plan, auch wie das Foto aussehen soll, konnte umgesetzt werden. Da hocken wir nun das erste Mal seit einem Jahr mit einem kühlen Pils auf der Decke am Strand und hören den Wellen zu, das Licht ist schön weich und tönt warm und gelb, die Sonne möchte langsam untergehen. Ich ordne meine Gedanken und nach einer Weile, beurteile ich das Vorhaben meinen Mitstreitern: „Tja, also bei dem Wellengang, wird das nichts, die ziehenden Wolken wären schon cool. Wir müssen einen Tag abwarten, an dem das Meer relativ ruhig ist.

polnische Ostsee_stormy

Tag drei, stümisch, viel zu hoher Wellengang

Die Wetterapp verheißt: nicht in den nächsten drei Tagen. Okay, wir haben Zeit, richtig viel Zeit. Jener Tag, mit lauem Wind und somit wohl auch gemäßigten Wellen, wird dann tatsächlich der letzte mögliche sein. Zum Abend hin packe ich alles in den Rucksack, zwei Kameras mit angesetzten Objektiven, drei Blitze, Funkauslöser. Die Stativtasche – über die manche meiner „Gesichter einer Szene“ manchmal fragen, ob ich Zelten oder Angeln gehen will – wird radikal abgespeckt. Ein Lichtstativ, Schirmneiger und dreifach Blitzhalter soll reichen. Wir werden zwar nur etwas über 5 Minuten bis zum Strand laufen, aber zwei Bier und ’ne Cola müssen ja auch noch rein 🙂 Wir sind gespannt, wie die Wellen sind.
Nach der letzten Düne ist der Blick frei, es sieht gut aus. Wir lassen es ruhig angehen, machen uns natürlich ein Tyskie auf und genießen den Anblick des Meeres, die Sonne wird in einer Stunde untergehen. Als erste wird mir klar: um Jeannine wie geplant zu fotografieren, müssen wir doch sehr weit rein ins Wasser. Das war mir, bei dem deutlich heftigerem Wellengang der letzten Tage nicht so offensichtlich. Hm, naja wird schon nicht so schlimm. Das Jeannine nass werden würde uns klar, weshalb sie auch Wechselsachen mit hatte, na und mein Lichtassistent Moritz und ich würden schließlich vom Ufer aus mit hochgekrempelten Hosen agieren. So der Plan. Ich richte mein Licht nun ein, drei Blitze auf voller Leistung sollen die dunkle Stimmung der Serie auch hier ermöglichen. Heißt also Unterbelichtung auf die Umgebung und dann Blitzpower auf Jeannine. Wir fangen an. Moritz fragt noch, ob er das Smartphone im Rucksack auf der Decke lassen soll, ich winke ab, nee, so weit brauchen wir nicht rein… Dachte ich. Ich schicke Jeannine also vor mir her, immer weiter rein und mir wird bewusst; wir müssen hinterher, sonst geht zu viel Leistung der Blitze verloren. Testfoto. 
Hm ok, das Licht bekomme ich hin, wir müssen aber noch ein Stück, damit Jeannines Hände von den Wellen umspült werden. Dann kommt die erste Welle, die mich und Moritz bis über die Knie mit Wasser benetzt, ich gebe meiner Liebsten Anweisungen und fotografiere, immer ein Auge auf die Wellen. Zweite Welle, Kamera hochreißen, da ich in gebückter Haltung fotografiere. Diesmal erreicht der Pegel schon den Schlüpfer, der nun triefend nass ist. Die dritte Welle nötigt Moritz und mich, die Telefone in die Arschtasche zu stecken, um ihnen noch einen gewissen Schutz zu bieten. Zurück können wir nun nicht mehr, das müssen wir hier bis zum Ende durchziehen. Anweisung an Moritz, direkt hinter mir zu stehen, Licht von schräg oben, Jeannine muss ständig lachen, weil wir ständig fluchen, wohlwissend keine Wechselsachen zu haben, jedenfalls nicht am Strand. Rückzug, oder nee, wartet mal, ich ziehe mich zurück, ich brauche ja noch ein Making Of…so nochmal alle recht freundlich. Jetzt aber raus! 
Wir sammeln uns erst mal, trinken einen großen Schluck Bier und erzählen uns gegenseitig, was wir gerade erlebt haben. Als wäre jeder fünf Kilometer vom Anderen entfernt gewesen. Und Lachen 🙂 Jeannine kann sich jetzt umziehen, mein Sohn und ich wringen die Buchsen mit den Händen notdürftig aus. Die Sonne wird nun gleich ins Meer eintauchen. Ich checke nochmal kurz die Fotos, das sollte passen. Wir packen, trockene Schuhe haben wir ja, also lasst uns zurück, und in den Biergarten gehen, den Tag mit einem Frsichgezapften ausklingen lassen… So machen wir das. Skål!
Morze uruchomiła… das Meer rief…the sea called

polnische Ostsee_sundown

Nach dem Fotos: noch mal mit 50mm den Horizont einfangen, dann ab zum Biergarten

Steckbrief:
Jeannine (45) Erzieherin, Mitarbeiterin im Handel
Fan, und im Team beim Neiße Metal Meeting
Die Affinität zu härterer Musik begann bei Jeannine mit einem Schlafsack. Genauer mit dem Song „Sleeping Bag“ von ZZTop. Da war sie 15 und genervt von Dieter & Thomas, die mit ihrer belanglosen aber extrem erfolgreichen Discomucke zumindest die Charts in Westdeutschland besudelten 😉 Aber es gab eben auch Hoffnung und genau diese Single der bärtigen Südstaatenrocker rettete so manchen Sonnabendnachmittag, den man als junges Mädchen gemeinhin damit verbrachte, sich für die Disse hübsch zum machen. Ebenfalls in diese Zeit fällt ein Umzug zwei Straßen weiter, der für weitreichende Veränderungen in ihrem Leben sorgen sollte. Im selben Hausaufgang wohnte nun auch ein Typ, aus dessen Zimmer unter ihrem Fenster ziemlich heftige Mucke nach oben drang. Heavy Metal! Derart interessiert, sowohl an der Musik, als auch an dem Typen war es wohl ihr schönstes Mal, den Hausmüll „runter“ bringen zu müssen, denn der Typ baggerte sie im Hausflur auch noch an! Der Typ war ich. Jeannine lernte nicht nur ihren zukünftigen Ehemann kennen, sondern tauchte ein, in diese vielfältige Szene. Es folgten Tapes, Streifenhosen, Metal T-Shirts, Partys und später auch viele Konzertbesuche. Fragt man nach dem ersten Metal Song, der sie richtig umgehauen hat, wird sie antworten: „Dallas 1 PM von Saxon“. Heute zählt zu ihren Faves auch Zakk Wylde…merkt ihr was? Schon wieder einer mit so einem langen Bart 🙂

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3 Comments

  1. […] halte es mit meiner J. so, dass wir nach ein paar Tagen an der Ostsee, immer noch einen Besuch bei Moritz und seiner Frau […]

  2. peter Oktober 18, 2016

    jepp, so war das 🙂 und, danke

  3. scharelli Oktober 18, 2016

    Dallas 1 p.m. fand ich damals auch richtig geil. – Und manchmal erfährt man noch was über Leute, die man meint, schon ewig zu kennen. Soso, im selben Hausflur hat’s also angefangen 🙂
    Coole Pix, wie immer!

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