Gesichter einer Szene No. 64

Ein Mann steht mit Daumen in den Hosentaschen an eine Wand gelehnt und schaut in die Kamera

Ende Dezember, ich habe Urlaub und genieße es, rumzugammeln. Es ist dieser Tage nicht einfach, sich aufzuraffen, Dinge zu erledigen. Nicht, dass ich gänzlich untätig wäre, das nicht. Ich schreibe Blogeinträge, reduziere den Fotoberg, trinke Bier (natürlich erst, wenn es dunkel ist!). Dazu brauche ich nicht raus, will ich auch nicht, das Wetter ist grau, kalt, doof. Warum also die Wohnung verlassen?

Hm, Leute treffen, Livemusik? Okay, das ist ein Argument, also werde ich am 25.12 zum Muggefug transportiert, da gibt’s Leute, Mucke und Bier. Eigentlich ganz schön. Aber es nagt in mir, dass ich in diesen freien Tagen auch noch für „Gesichter einer Szene“ fotografieren müsste…ich weiß doch, wie groß die Hemmschwelle ist, wenn ich wieder in diesem gottverdammten Hamsterrad der Erwerbstätigkeit stecke.

Irgendwann stehe ich neben Uwe, wir labern Mucke, trinken Bier und irgendwann sage ich: „Mensch Uwe, wir müssten jetzt mal zu Potte kommen, euch beide für die Serie zu fotografieren!“ Wir machen die Sache klar, ich habe zwei Tage später per Mail eine Zusage für den 30.12. 14:00 Uhr.

Nachdem ich mich vormittags im Haushalt nützlich gemacht habe, die Getränke für Silvester einholen war und den Tank im Nachbarland aufgefüllt habe, düse ich nach Cottbus. Im Player läuft Motörhead, zwei Jahre ist das mit Lemmy jetzt her, die Musik mildert den Schmerz darüber…

Ich halte vor der Nummer 3 und aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, nicht am richtigem Haus zu sein. Ich guck nochmal auf das Telefon, ach klar, Nummer 9… das passt, ich war doch schon mal hier…

Sylvia und Uwe empfangen mich, noch bevor ich klingeln konnte. Ich lege ab, die beiden machen Kaffee und wir werten die letzten Tage aus…klingt so wie bei mir, irgendwie 😉 Uwe legt erst mal die letzte Blood auf, schönes Gerumpel, ich wusste gar nicht, dass die Typen schon sooo lange Musik machen. Ich sehe mich derweil um und komme zur Sache. Ich schlage vor, einer in der Wohnung, einer draußen im Garten. Sylvia findet draußen gut, also fange ich mit Uwe drinnen an.

Hm, im Wohnzimmer, neben dem Weihnachtsbaum? Ich hoffe keiner kommt auf die Idee, vielleicht locker vom Hocker in der Küche? Nee, gefällt mir nicht. Uwe meint dann, im Schlafzimmer gibt es so eine 3D Tapete, ok, gucken wir mal. Die Tapete zeigt so geometrische Formen, und ich kann mir das gut vorstellen, so in Schwarz/Weiß. Also legen wir los. Licht von schräg oben, und ca. 45° von der Seite, also sehr klassisch. Der erste Testschuss sieht schon cool aus, vor allem gefällt mir wie das Licht auf der Wand ankommt. Leider war es eben ein Testschuss, und mein Model guckte dabei freilich noch nicht in die Kamera, daran arbeiten wir jetzt…mit baldigem Erfolg.

Ein Mann steht mit verschränkten Armen in einer Zimmerecke und schaut nach rechts

Draußen werden die Wolken immer dicker. Wir sollten uns jetzt sputen, Sylvia zu fotografieren.

Davon erfahrt ihr dann im nächsten Teil.

Steckbrief:

Uwe „Platzkartenpflichtig“ R. (49) Betonzerstörer

Fan…einfach Fan

Familienfeste müssen nicht immer öde sein: Für den vielleicht fünfjährigen Uwe verbindet sich mit einem dieser Verwandtschaftstreffen der Ausgangspunkt seiner Musikleidenschaft. An jenem Tag durften die Steppkes die von den Erwachsenen noch verschmähte Tanzfläche nutzen um herumzutoben, als der DJ ein Tonband auflegte, auf welchem ein Livemitschnitt der Band Rainbow zu hören war. Bis die Party mit Schlagermusik richtig begann, lief das Band wohl viermal, und löste in Uwe ein bisher unbekanntes Gefühl aus. Das Gefühl, wie es ist, wenn dich Musik tief in dir drin berührt.

Das Gefühl blieb, es zu erleben allerdings war schwierig, bot doch das Radio genau solche Musik nicht, es wurde also musikalisch erst einmal ruhig in Uwe.

Bis er, vielleicht mit zwölf, dreizehn Jahren, das erste Saxon Album zu hören bekam. Er kann nicht mal genau sagen, wie er zu der Scheibe kam – vermutlich eine Leihgabe – jedoch hatte Uwe ziemlich tolerante Eltern, deren Plattenspieler er in Ermangelung einer eigenen Anlage für seine ersten Ausflüge in die Welt des Heavy Metal nutzen konnte.

Bis Ende der 80er folgte Uwes Wegfindung mit dem was damals en vogue war: Maiden, Priest, Metallica und vor allem die ersten beiden Helloween Veröffentlichungen. Eine deutliche Steigerung der Intensität der Musik stellte die erste Bekanntschaft mit Slayer dar, deren Statement im Metal Hammer ([…]„wenn wir Europa verlassen, ist in Punkto Speedmetal die Messe gelesen.) für einige Neugier bei Uwe sorgte, die freilich bald gestillt wurde. Die „Hell Awaits“ blies ihm buchstäblich die Rübe weg und ebnete vielleicht auch den Weg, sich in den nächsten Jahre mit Bands wie S.O.D, Crumbsuckers oder Biohazard in eher hardcorelastigen Gefilden zu bewegen.

Die Neunziger Jahre boten den – nach Konzerten gierenden – ehemaligen DDR Metal Fans einiges an neuen Möglichkeiten, die auch Uwe viel und gern nutzte. Gerade im Gladhouse Cottbus ging so ziemlich alles von Rang und Namen im Thrash- und Deathmetal über die Bühne…goldene Zeiten.

Heute pflegt Uwe seine Sammlung, ist immer auf der Suche nach neuen Bands, und besucht mit seiner Frau Konzerte und Festivals, die auch mal etwas mehr Wegstrecke verlangen als um die vier Ecken bis zum Muggefug 🙂

Ein Mann steht mit verschränkten Armen in einer Zimmerecke und schaut in die Kamera

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