Gesichter einer Szene No. 85
Fast immer verläuft das Prozedere hinter „Gesichter einer Szene“ in der Reihenfolge: kenne ich/frage ich, oder kenne ich nicht/fragt mich – dann Terminabsprache und dann hoffentlich Fototermin mit anschließendem kleinem Interview der Protagonisten.
Diesmal war es ganz anders, ungeplant, unkonventionell und zweigeteilt. Der Reihe nach.
Wir haben Ende April, es ist Freitag und im Muggefug Cottbus steigt endlich nach einigen Verschiebungen die ‘13 Jahre Arroganz’ Party, welche sich über das gesamte Wochenende ziehen wird. Ich klappe mit meiner J. unser Auto-Dachzelt im Hof des Etablissements auf, wir begrüßen Freunde und Bekannte, alle fiebern den Auftritten der Bands entgegen, welche am Freitag neben den Gastgebern Arroganz, auch Tormentor und Purgatory auf die Bühne rufen wird.
Es beginnt also ein fantastisches Wochenende mit sehr guter Livemusik, begleitet von viel Wiedersehensfreude und Bier, oder anderen leckeren Getränken. Arroganz fragten im Vorfeld, ob ich vielleicht im Backstage eine kleine Fotoecke einrichten möchte, in der sich Bands und/oder Gäste nach Lust und Laune fotografieren lassen könnten. Ich fand die Idee spitze und so richte ich mich ‘hinten’ ein.
Wir erleben drei Hammer Gigs, und auch in der Fotoecke gibt es gerade nach der letzten Live-Note gutzutun. Irgendwann, es mochte gegen 2 Uhr morgens sein, komme ich mit Wolfgang, einem der Gitarristen von Purgatory ins Gespräch – welches trotz der fortgeschrittenen Zeit – sehr angenehm und interessant verläuft. Nebenher ertappe ich mich dabei, dass ich mir vorstelle, so ein Typ wie Wolfgang ist genau diese Art Mensch, die ich so gern in der Serie habe. Ich frage also unvermittelt, ob er auf dem Stuhl unter meinem Blitz Platz nimmt und mache ein paar wenige Fotos in genau zwei Posen, die uns beiden auf Anhieb gefallen. Dabei ist es 2:40 Uhr, jetzt das Interview hintendran zu schieben, finden wir irgendwie nicht so gut, wir trinken unser Bier aus und verabreden uns, das bei einem der demnächst anstehenden Konzerte von Purgatory nachzuholen.
Szenewechsel Protzen Open Air, etwa sechs Wochen später: Purgatory stehen am Freitag auf den Brettern des kleinen, aber sehr geilen Festivals am Rande von Berlins Nordwesten. Es dauert natürlich nicht lange, bis wir uns über den Weg laufen und kommen überein, uns Samstagnachmittag – ich glaube vor der Bühne – zu treffen.
Die erste Band am Samstag ist noch ein Stündchen hin, es ist sehr heiß, Wolfgang nicht zu sehen. Ob er es vergessen hat? So wie ich? Hätte mich J. nicht erinnert, wüsste ich jedenfalls nix mehr von der Verabredung . Dann sehe ich ihn im Schatten eines Bierstandes, schlendere hin, und versuche ihn subtil seinen beiden Gesprächspartnern (die ihm immerhin schon ein, zwei Bier ausgegeben haben) abspenstig zu machen. In einem luftigem, offenen Zelt Backstage starte ich meine Recorder-App und lausche gebannt Wolfgangs Worten.
Wie schon Wochen zuvor, war es ein tolles Gespräch, diesmal über seinen Werdegang und die Musikszene im Underground, Einzelheiten davon gibt es nun unten im Steckbrief
Steckbrief:
Wolfgang (44) Sozialarbeiter
Fan, Musiker
Wolfgang galt als Kind als recht unruhig und aktiv, nach Konsultation einer Kinderpsychologin wurde herausgearbeitet, dass Musik hier dazu beitragen konnte, auf den jungen Wolfgang ausgleichend zu wirken. Dabei: je schneller und/oder rockiger die Musik ausfiel, desto ruhiger wurde der rege Filius, was letztlich in eine Musiktherapie mündete.
Hier boten sich Michael Jackson und Madonna an, welche damals dann auch Wolfgangs Faves wurden, was sich in der Gestaltung seines Kinderzimmers widerspiegelte. 1988 – mit 10 Jahren – hatte er so bereits die Möglichkeit Michael Jackson live zu erleben, und auch wenn dies eine prägende Erfahrung war, ließ der Blick über den poppigen Tellerrand nicht lange auf sich warten.
Das Tape eines Klassenkameraden bot auf der A-Seite Bad Religion und die göttlichen Suicidal Tendencies – deutlich mehr Beachtung fand jedoch die B-Seite der Musikkassette mit Obituary und Diecide. Die hier auf Band festgehaltenen Aufnahmen zweier Vorreiter des US-Deathmetal lösten nun in Wolfgang einiges aus – wir erinnern uns, je schneller, rockiger …
Für unseren jungen Freund wurde Death-Metal ab diesem Zeitpunkt die alles bestimmende Musik. In diese Zeit möchte dann auch das autodidaktische Erlernen des Gitarrenspiels fallen, für welches sich Wolfgang die Akustikklampfe seiner älteren Schwester ausborgen musste und so versuchte, das via Tape gehörte in irgendeiner Form nachzuspielen. Zwar verursachten die Ergebnisse noch keine Freudentänze, dennoch legten sie den Grundstein am Musizieren, dem Festhalten und Weitermachen.
Um 1994 ergab sich die Möglichkeit in einer Band erstmals in einem echten Proberaum zu spielen und Live-Erfahrungen zu sammeln, die, bei aller Unerfahrenheit der Beteiligten, doch zu einem erheblich gesteigerten Selbstbewusstsein führten, sowie zu der Erkenntnis, hier absolut auf dem richtigen Weg zu sein.
Und so ist Wolfgang ein Typ, der seine Liebe zum Death-Metal nicht nur um der Musik willen in jeder freien Minute auslebt, sondern, auch als Kommunikationsfenster nutzt, um Menschen kennenzulernen, die sich wie er im Metal-Underground zu Hause fühlen.
Spielt Gitarre bei Purgatory, singt und spielt Bass bei In Slumber.
Spielte bei Disbelief, Edenbridge, Scargod, Mastic Scum.
Projekte: Reek Of Martyr, Godhatecode
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2 Comments
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Hallo MaJa, danke für die lieben Zeilen, einen Rückblick auf das ‚Arroganz‘ Wochenende möchte ich unbedingt noch schreiben, eben weil’s so einzigartig gewesen ist.
Ich lese sowas sehr gern und mal wieder sehr schön geschrieben. Vielen Dank. Das WE in Cottbus wird nie in Vergessenheit geraten und Protzen war auch genial.
Was soll ich noch sagen.;)