Ein musikalischer Jahresrückblick auf das Jahr 2022
Auch im Jahr 2022 gab es Musik, so wie auch in den Jahren davor, jedoch war und ist Musik und das was damit gemeinhin verbunden wird seit den letzten Jahren anders. Das Leben in allen Bereichen war 2020–2022 mehr oder weniger beeinflusst von Covid-19, so auch die Musik – im Schaffen, wie auch in ihrer livehaftigen Darbietung durch die Künstler.
Ich konnte mit meiner J. irgendwie in jedem dieser Jahre zumindest einige Festivals und Konzerte besuchen, was nach wie vor strange anmutet, aber es gab sie, und sie wurden in 2022 wieder deutlich mehr und deutlich normaler im Ablauf.
Und so beginnt mein musikalischer Jahresrückblick, in einer Zeit, in der Konzerte noch selten sind – im Januar/Februar.
In Ermangelung von Live-Scharmützeln, wie auch dem Ausfall der geliebten Frostfeuernächte nutzten wir zweimal die Gelegenheit Tormentor im nahegelegenen Proberaum zu besuchen. Die Jungs bereiten sich auf kommende Konzerte vor und wir genießen für eine kurze Zeit den Lärm und die Vibes der Amps, sowie das Proberaumbier. 😉
Update: An dieser Stelle muss ich unbedingt noch einfügen, dass sich just zu Beginn des neuen Jahres ein Album einschlich, welches sich in der Top 5 2021 meines Freundes Scharelli befand. Eine Band, die ich nicht kannte, aber sofort meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Dold Vorde Ens Naven – die Musiker mischen auf „Mørkere“ geschickt norwegischen Black Metal mit leichten Folk Einflüssen, sowie klassisch-symphonischen Parts. Der Gesang ist größtenteils knarzig tief und in den hohen Lagen, dann oft herrlich schräg. Glück für mich, dass Anfang Februar noch Exemplare des scheinbar vergriffenen Meisterwerkes aufgetaucht sind – es sei hiermit dringend empfohlen!
Im Februar, erscheint jenes Album, welches mich das ganze Jahr begeistert hat und noch immer in Verzückung bringt – Tears For Fears – „The Tipping Point“. Seit dem habe ich die Scheibe über 50 Mal auf den Dreher gelegt – Folgerichtig ist es meine Nummer eins im Jahr 2022!
In einem Blogeintrag gehe ich ausführlich auf dies famoses Comeback Album meiner Faves ein – wer es lesen möchte: hier entlang.
Der April bringt das neue Album der Kölner Blackmetal Band Ultha hervor. Ich hörte ein, zwei Tracks in der „Heavy Hour“ bei Jakob Kranz und nach nur einem Durchlauf des Albums auf Spotify war mir klar, diese Platte soll Teil der Sammlung werden. Da die erste Auflage schon vergriffen war, dauerte es etwas mit dem physischen Tonträger – aber als er dann endlich eintrudelte, ging er in die Dauerschleife.
Die Combo schafft es, ihre treibenden Beats, die oft in die von mir geschätzte Raserei übergehen, in Songs zu packen, von denen immerhin vier von sieben die 10-Minuten Schwelle überschreiten, ohne sich dabei zu verzetteln!
Natürlich gibt es in diesen Monstern dann nicht die ganze Zeit auf die 12 – vielmehr nutzen Ultha diese Zeit geschickt ihre Post-Black Metal Seite einzubringen, es wird düster, doomig und atmosphärisch berauschend. Wer sich hier angesprochen fühlt, dem sei „Haloes In Reverse“ empfohlen, der mit einem sich toll steigerndem Schlagzeug glänzt und sicher auch als genreübergreifend geltend darf.
Ende April gibt es ein denkwürdiges Konzert unserer Freunde von Arroganz im Cottbuser Muggefug – gefeiert wird das 13-jährige Bestehen der Band und zwei Platten-Jubiläen.
Für diesen zweitägigen Abriss haben Arroganz für jeden Abend ein extra Set vorbereitet, welches sie, flankiert von Bands wie Goath, Tormentor, Purgatory, Endstille, Bowel Evacuation oder Nocturnal Weed auf die Bühne bringen.
Wir haben unser Dachzelt auf dem Hof ausgeklappt und verbringen so die zwei Nächte von Freitag bis Sonntag im Camping Style. Am Sonnabend-Nachmittag lädt die Band alle Besucher zu Kaffee und Kuchen, bei bestem Wetter grooven sich nun alle für den zweiten Abend ein. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass dieses familiäre Treffen zu den Höhepunkten des Jahres gehörte und wir uns auf das LUSATIAN GRIMFEST Vol. 1 in 2023 freuen, welches Arroganz als legitimen Nachfolger dieses Konzerts ins Leben gerufen haben.
Mitte Mai düsen wir nach Freiberg bei Dresden, um einem Gig von Tormentor beizuwohnen. Wir treffen hier auch unsere Freunde Anke & Steffen, bekommen auch die Möglichkeit mit dem Dachzelt zu übernachten und habe eine tolle Zeit mit unseren Jungs.
Anfang Juni bringen Kreator ihr neues Album heraus. Klar, ich fand die Singe „Hate über alles“ richtig geil, muss aber gestehen, eher „nur“ ein gutes Album erwarte zu haben. Wenige Tage später verdichtet sich in meinem Freundeskreis allerdings die Meinung, das wäre ein absoluter Knaller (O-Ton Evil).
Evil hatte noch eine schwarze (gemeint ist hier die Farbe) Pressung „drüber“ und so konnte ich mit kurzem Delay das Vinyl tanzen lassen. Und verdammt, was ich zu hören bekam, war ein dermaßen abwechslungsreiches Album, dass ich es in den ersten Tagen mehrfach auflegte. Auf dem gleichnamigen Album pflügen Kreator sich mit ihrem typischen Sound durch einige Jahrzehnte Metal-Geschichte und zitieren diese mit Ehrfurcht und Verehrung. Dazu kommt, dass Mille gesanglich, auf einem Level unterwegs ist, welches mir um Längen besser gefällt, als auf den letzten Scheiben nach „Violent Revolution“ Bravo!
Ebenfalls Mitte Juni geht es für uns auf das erste Festival in 2022, dem Protzen Open Air. Hier hat sich nach zwei Jahren gezwungener Abstinenz einiges verändert. Der ehrwürdige Hangar darf nun als Backstage fungieren, während sich das Live-Geschehen auf einer Open-Air-Bühne abspielt.
Wir finden das super und erleben mit Bands wie Benediction, Graceless, Purgatory, Skeleton Remains oder The Spirit feine Höhepunkte und eine fantastische Zeit auf diesem Underground Festival am Rande von Berlin.
Das zweite Festival bestreiten wir drei Wochen später in Torgau – das In Flammen Open Air. Bei diesem Festival ist der Kreis unserer Freunde doch deutlich größer, wie auch unser gemeinsames Camp. Das wiederum verspricht das beliebte gesellige Beisammensein zwischen den Gigs, bei denen alte und neue skurrile Geschichten aus dem Leben von Metal Heads ausgetauscht werden, Tränen gelacht und Bier getrunken wird. Sonnabend treffe ich mich mit Stephan, den ich tags zuvor hier kennengelernt habe, um von ihm ein Foto und Interview für „Gesichter einer Szene“ zu bekommen. Mir sind auf dem „In Flammen“ besonders Dool, Memoriam, Mosaic, Incantation, Grabak, Ad Cinerem und natürlich Ultha in Erinnerung geblieben, das Wiedersehen mit alten Freunden und Bekannten gab dem Ganzen das Sahnehäubchen obenauf.
Im September sind wir zu Gast im Gladhouse Cottbus, um Desertet Fear, Bipolar Architecture und Burn Down Eden die Ehre zu erweisen. Zu dieser Zeit gab es schon etliche Konzertabsagen, welche ihre Ursache in mehreren beschissenen Umständen wie Covid-19, fuck’n war, oder der sich abzeichnenden Rezession und Inflation zu haben scheinen. Abseits dessen erleben wir drei tolle Bands, die für jede Menge Spaß sorgen und somit auch die oben genannten Sorgen mal vergessen lassen.
Weiterhin gibt es im September noch zweimal die Möglichkeit, Tormentor live zu sehen. Wobei das erste Konzert ein Kurzgig anlässlich der Hochzeit des Tormentor-Bassisten Christian auf der kleinen Bühne einer typisch ostdeutschen Dorfgaststätte war – ein Ambiente, in das Tormentor so gar nicht passen möchte, der Band jedoch ein Riesenspaß gewesen ist.
Zwei Wochen darauf rödeln wir nach Chemnitz, wo unsere Jungs bei einem Brauereifest der Munzer Brauereimanufaktur auf einer Open Air mitten im Stadtgebiet die Sau herauslassen. Das Bier war auch sehr lecker. 😉
Im Oktober besuchen wir wieder zwei Konzerte in unserer Gegend. Im Kulturhof Lübbenau unterhielten uns die Lokalmatadoren von Velocyraptor, gefolgt von den Niederbayern Maahes. Technischer Deathmetal trifft auf lupenreinen Blackmetal – eine Konstellation, welche für gute Unterhaltung gesorgt hat. Tagen später in Eisenhüttenstadt blieben uns bei der Pestbaracken Konzertreihe vor allem Warpath und Countless Skies in Erinnerung. Die Besucherzahl hätte besser sein sollen, da das Billing echt gut gewesen ist, aber vielleicht trifft hier meine Bemerkung weiter oben zu – die Musikfans haben vielleicht derzeit andere Prioritäten. Es bleibt aber auch zu konstatieren, dass bei beiden Veranstaltungen das Treffen mit unseren Buddys Anke & Steffen immer ein Highlight war. Nach wie vor gleichen wir bei unseren Treffen unsere Realitäten ab, musikalisch, wie politisch.
Der Herbst ist nochmal richtig interessant in Sachen Musik. Zwei meiner Alben der Top 5 sind im November veröffentlicht worden. Da kommt immer die Frage auf, wie sehr fasziniert eine Platte, wenn sie „frisch“ ist, gegenüber dem Album, was schon Monate für Vergnügen sorgt. Ja, ich kenne das Gefühl, …fuck it. Vom Album „Ayam“ der Leipziger Disillusion höre ich noch im Oktober einen Song in der Heavy Hour – und der hatte es in sich. Ich lag beim Hören der Sendung schon im Bett, nahe am Einnicken (das kommt halt vor). Dann startet Kranz diesen Song, der mich aufhorchen lässt. Krass! Geiler Sound, genau wie ich es mag. Wie erwähnt, ich bin schon so am Dösen. Nach einiger Zeit wechselt das Thema im Song, ab da ich bin hellwach – wie lange lief denn der Song jetzt schon, ist das noch dieselbe Band? Ja, sie war es. Ich habe also einen Song gehört, der dermaßen abwechslungsreich daher kam, dass ich nicht genau hätte sagen können, ob das noch dasselbe Lied ist. Disillusions erster Song auf Ayam geht etwas über 11 Minuten und hat mich komplett umgehauen. Als das Album auf Spotify verfügbar ist, höre ich mir das natürlich an, noch bevor es zu Ende ist, habe ich via JPC eine Bestellung aufgegeben.
Ayam ist ein krasses Progmetal Album, bei welchem gerade die A-Seite keine Wünsche offen lässt. Ich bekomme Gänsehaut ob der tollen Instrumentierung, dem schlüssigem Songwriting, welches neben deutlicher Härte auch Raum für Bombast und liebliche Melodien lässt. Raserei gibt es auch, und einen facettenreichen Sänger, der sich in cleanen und harschen Tonlagen wunderbar zu bewegen weiß. Klar, es gab ja in 2022 auch ein neues Porcupine Tree Album, und es ist ein verdammt gutes Album, aber „Ayam“ hat mich mit dem Vorschlaghammer erwischt. Fans von Riverside und Katatonia dürften hier ebenso ihre Songs finden – also die melancholisch angehauchten – wie auch Fans von technischen, harten, Stakkato Parts begeistert sein dürften – alles durchzogen und sinnvoll arrangiert und garniert mit geilen Gitarrensoli. HELL – was für ein Album!
Ähnlich lief es beim Album auf Platz fünf ab. Kranz spielt einen Song, ich höre das zunächst nicht konzentriert, dann knallt es in meinem Kopf. Ich merke recht schnell, wenn mich Musik triggert, da sind eben Elemente, die etwas in mir auslösen. So auch bei FJØRT und ihrem Album „[nıçts]“
Unabhängig davon, ob ich nun schon je von der Band gehört habe (ähnlich Disillusion -obschon das ja nun echt meinem Beuteschema entspricht) höre ich mir also die Band auf der Streaming-Plattform an und checke, ob es Vinyl gibt. Gibt es. Vor allem zu einem „no-brainer-preis“. Das Album kommt, wird auf den Dreher gelegt und ich bin geflasht. Die Musik von FJØRT hat einen dermaßen melancholischen Charme, selbst wenn die volle Kraft voraus musizieren könnte ich heulen. (Checkt die Bass-lines, checkt den Groove!). Was ist das nur? Die Texte? Ja, das kommt als bestimmende Komponente ohne Zweifel dazu. Denn: Lyrisch sind FJØRT mit ihren Texten inmitten dieser so abgefuckten Welt, in welcher alles aus dem Ruder zu laufen droht. Darüber machen sich die Aachener Gedanken, um dann festzustellen: Ja, wir sind gebildet, informiert, klagen an … und sind am Ende scheinbar macht- und zahnlos. Denn im Song „Kolt [kɔlt]“ wird genau von dieser Ohnmacht gesungen, also der eigenen. Heißt es doch:
„Kann zwar texten
Und kann schreien
Doch mein Beitrag ist blamabel
Von der Bühne kann ich niemandem
Den Magen voller machen
Gründe fallen dann wie Fliegen
Wenn man alles reduziert
Und dann ankommt bei der Frage
Tat ich das nur wegen mir
————
Ich tue gar nichts
Weil es gemütlich ist
Hier bei uns
Tue gar nichts
Und bin gnadenlos
Informiert”
Ja, das kann mich schon runterziehen, sehe ich mich doch in ähnlicher Position – ich bin auch informiert, klage an, mache aber aktiv nix oder zu wenig. Klar, vielleicht mehr als die vielen Mitmenschen, denen wirklich alles egal ist, und auf die Generationen nach uns scheißen. Hilft es?
Also gebe ich mich doch wieder der Musik hin, die in ihrer Mischung etwa auf The Hirsch Effekt auf Hardcore mit Sprechgesang so Balsam auf die geschundene „Gutmenschen-Seele“ ist.
Okay: wir werden alle störben, das ganz bestimmt …
Immer noch im November, nach drei Jahren sind wir auch endlich mal wieder in Gubin, unserer Nachbarstadt in Polen, um uns auf dem traditionellen Darkside Festvial mit Gleichgesinnten aus dem Nachbarland zu treffen. Und das war schön! Unsere Freunde von Deathstorm sind vor Ort, zwei derer Musiker spielen derzeit bei Warfist und somit können wir auch sie nach drei langen Jahren wieder live musizieren sehen – ergreifend.
Es treten natürlich noch andere Bands auf, sowohl polnische als auch deutsche, das Bier schmeckt, wir sind gespannt auf das nächste Mal.
Da es terminlich im Dezember nicht passen wird, besuchen wir Ende November nochmal das Mufu zum „Metal over Muggefug”. Den Abend versüßen musikalisch Fleshless, Pikodeth und Norkh. Nachdem wir uns nur mühsam vom Tresen trennen konnten, schliefen wir warm und zufrieden in unserem Dachzelt.
Naja, und den Rest des Jahres habe ich Musik gehört, da gab es ja noch so viele geile Platten, auch vieles neues gab es zu entdecken. Sehr gern habe ich noch folgende Platten auf den Dreher gehoben (ohne Reihenfolge):
Imha Tarikat – Hearts Unchained – At War With A Passionless World
Carpenter Brut – Leather Terror
In The Woods… – Dīversum
King’s X – Three Sides Of One
Anti – Anti
Khold – Svartsyn
Porcupine Tree – Closure / Continuation
White Ward – False Light
Prince And The Revolution – Live
Mantar – Pain Is Forever and This Is the End
Behemoth – Opvs Contra Natvram
Watain – The Agony And Ecstasy Of Watain
Silly + Gundermann & Seilschaft – Unplugged
Zeal & Ardor – Zeal & Ardor
Kampfar – Til Klovers Takt
Ja, da ist kein lustiger Metal dabei, auch keine lustige andere Mucke. Ich höre nun mal keine lustige Musik, liegt vielleicht an meiner leicht misanthropischen Ader, oder auch der etwaigen Introvertiertheit. Sei es drum, mir gefällt es so.
Im nächsten Jahr wird sich das nicht ändern. Der Terminkalender ist gut gefüllt und wenn alles so läuft, wird es ein musikalisch schönes Jahr. Das Erste von fünf Festivals werden die Frostfeuernächte sein, erstmals im Dachzelt. Überhaupt: es gab bei uns wohl nur zwei Konzerte in 2022, bei denen wir das Dachzelt missen mussten. Es ist einfach cool, gleich vor Ort in die Falle zu steigen und am nächsten Tag zurückzureisen.
Vermutlich sieht man sich da oder dort, bis dahin: support the local underground!
- Tears For Fears – The Tipping Point
- Disillusion – Ayam
- Ultha – All That Has Never Been True
- Kreator – Hate Über Alles
- [fjɔʁt] – [nıçts]
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