Gesichter einer Szene No.26
Als ich Rainer vor ein paar Wochen auf dem Gahlen Moscht traf, grübelten wir – da er schon seit einer Weile nicht mehr in Cottbus wohnt – wo wir ihn am besten fotografieren könnten. In leicht bierschwangerer Stimmung hatten wir uns dann zu der Idee verstiegen, das Ganze doch im Zuge des Testament Gigs im Gladhouse Cottbus eben genau dort abzuhalten. Vor dem Konzert quasi. Ich fand die Idee super – um sie zu verwirklichen, galt es ein paar Dinge zu klären. Zum Beispiel, ob ich dort auch als Konzertfotograf im Spiel sein werde. Da es personelle Veränderungen gab, bekam ich keine Antwort von meinem eigentlichen Ansprechpartner, ein Anruf im Gladhouse schaffte Klärung und dieser Punkt galt als abgehakt. Ein paar Stunden vor der Abfahrt ergab sich noch eine Mitfahrgelegenheit und so reiste ich nebst meiner Gattin, Fahrer Lehmie und Evil, auf der Rückbank ein Bier trinkend, relaxt nach Cottbus. Einzig die Mucke im Auto war etwas befremdlich, das Kassettenabspielgerät wurde mit Tapes gefüttert, die Lehmie mal für seinen Vadder aufgenommen hat…und der ist definitiv kein Metal Fan. Die Reaktionen auf die schlagereske Musik wechselten zwischen Abscheu und Gelächter 😉 Am Zielort angekommen wurde ich etwas überrumpelt, man werde noch jemanden vom Bahnhof abholen, ich ließ also mein Equipment im Kofferraum… war vielleicht nicht die schlauste Idee. Am Einlass frage ich nach der Gästeliste: „Ähh…ja haben wir, warte mal, wer bist du denn?“ Ich nenne Name und Begehr, was wohl aber nirgends vermerkt scheint. „Mit wem hast du denn telefoniert?“ “Ach, da fragste was…ähh…Leiterin Veranstaltungsbüro?“ Das war mir, zugegeben, etwas peinlich, den Namen nicht mehr zu wissen. Okay, man kümmert sich, ich warte brav, bis sich die Situation klärt. Die Chefin kommt dann auch gleich mit an den Einlass und sagt sorry für die Komplikation. Passt schon, ich habe zu danken. Dann rücke ich mit meiner Frage raus, ob ich hier mal eben schnell im Foyer ein kleines Shooting abhalten könnte. Auch dazu erhalte ich unkompliziert eine Erlaubnis, jetzt brauche ich nur noch mein Gerümpel, denn Rainer ist schon vor Ort. Leider fehlt vom Auto jede Spur, ans Telefon geht keiner, also warten. Ich will ja nun auch nicht, dass wir die Vorband verpassen, wie immer sie auch sein möge. Nach ewig erscheinenden Minuten rollt mein Fotokram an und ich schiebe mich lächelnd an den etwas argwöhnisch guckenden Ordnern vorbei. Jetzt heißt es zügig und direkt arbeiten. Ich sehe mich mit Rainer im Foyer um und entscheide mich für eine Stelle zwischen der Tür zum Behinderten WC und einem Clubtisch mit Korbstuhl. Schräg hinter uns der Merchstand, links neben uns die Bar. Als ich alles zusammengeschraubt habe, stelle ich das Lichtstativ halb in den Gang und beginne mit dem Fotografieren. Rainer stand schon die ganze Zeit so an dem Stuhl und ich sage: „Bleib mal so, das sieht schon gut aus“. Testfoto, gemeinsamer Displaycheck, ein Testament Plakat an der Tür ist auch mit drauf, passt, sieht cool aus, machen wir so. Der Spuk dauert freilich nicht lange, ich will ja den Publikumsbetrieb nicht lähmen. Jetzt merke ich erst mal, wie warm es ist. Draußen 35°C, drinnen, ähnlich? Egal, Rainers Kumpel hatte mein Model schon zu Beginn unseres Shootings mit Pils versorgt, auch meine Frau brachte kühles Bier, welches wir uns nun schmecken lassen und den Fragebogen durchgehen.
Steckbrief:
Rainer (57) Beamter
Fan, Sammler
Wo die Liebe so hinfällt, nicht wahr? Nicht immer klappt im Leben alles so, wie man sich das vorstellt, oder eben nicht so lange. Musik hat Rainer schon immer gern gehört, schließlich fällt sein Geburtsjahr in eine Zeit, in der man die Veröffentlichung der ersten Scheiben von Led Zeppelin quasi in Echtzeit mit erleben konnte. Überhaupt boten ja die 70er eine Menge hervorragender Bands, welche letztlich, ob gewollt oder nicht, den Grundstein für Metal legten, darin mündend, dass Black Sabbath mit ihrem tonnenschwerem Lavasound als die Urväter des Heavy Metal hervorgingen. Jedenfalls beginnt Rainers Liebe zum Metal im Prinzip damit, dass eine Liebe erlosch, seine Frau verließ ihn. Das hinterließ Wehmut und man könnte sagen, Rainer ließ sich etwas hängen. Sein Freund Rolf – selbst langjähriger Metal Fan – fand sich mit dieser Situation allerdings nicht ab, er wollte Rainer aus seiner Lethargie reißen, indem er ihn zum Stoner Rock Konzert mit ins Chekov Cottbus nahm. Das hatte gesessen. Seit dem nimmt Rainer jede sich bietende Gelegenheit wahr, seine Liebe zum Metal auszuleben. Der mehrmalige Besuch von „Wacken“, dem „In Flammen Open Air Torgau“ und natürlich dem „Gahlen Moscht“ zeugen davon. Was Rainer am meisten an der Szene schätzt ist die Offenheit und das Gefühl, jeden zu kennen. Keine blöden Floskeln, einfach jemanden anquatschen, über Mucke labern und ein Bier zusammen trinken, so einfach ist das. Rainers Vorlieben speisen sich heute in erster Linie aus den Bereichen Thrash und Death Metal, dabei im Besonderen Augenmerk auf die lokalen Vertreter legend.
Das Konzert
Dann ist es auch bald Zeit für die Vorband „Drone“ aus Hamburg. Ich muss sagen, mir sagte der Name schlicht nichts und so nahm ich mir neben dem Fotografieren Zeit, mir eine Meinung über die Jungs zu bilden. Im Prinzip, solider, moderner Metal, gutes Stageacting, angenehme Kommunikation mit dem Publikum, welches sich durchaus auf die Hamburger einließ. Ich fand die Combo okay bis gut, durchaus nicht fehl am Platze, aber so richtig mitnehmen konnten mich Drone nicht, da fehlte mir hier der letzte Kick. Sicher sind meine Erwartungen an den einzigen „Vorturner“ im Programm vor einer Band wie Testament nicht eben gering gewesen. Umbaupause, Pullerpause, noch ne Brause…also ran an die Pils-Theke und mit Bekannten angestoßen. Was ich wirklich sehr erfreulich fand; das Gladhouse war richtig gut besucht – nach einigen guten aber schlecht besuchten Konzerten in der Vergangenheit, hatte ich in diesem Punkt ernsthaft Sorge. Sie war unbegründet. Durchaus ließ sich das „Fehlen“ der Muggefug-Fraktion aus Cottbus bemerken, dennoch waren viele bekannte Gesichter aus der Szene vor Ort um sich von Testament gehörig in den Arsch treten zu lassen. Und die Thrash Urgesteine aus der Bay Area taten genau das! Mit Over the Wall vom 87er Debütalbum steigen die Kalifornier mehr als solide ein und machen klar, an diesem Abend wird es noch Klassiker regnen. Es dauert keine zwei Songs und die Band hat das Cottbuser Publikum im Griff und voll auf seiner Seite, die Publikumsreaktionen stehen denen aus den wilden 90er Jahren in nichts nach. Der Hitze trotzend kreisen Köpfe, werden Biere und/oder Hände in die Höhe gestreckt, wird getanzt. Ich freue mich und fotografiere. Einen Fotograben gibt es nicht und das ist gut so, dafür gibt es eine aufwändig gestaltete Bühnendeko und Testament bringen zusätzlich zum Hallenlicht noch diverse Lichteffekte mit, die sie gezielt in die Show einfließen lassen.
Warm und Geil.
Ich wechsle ständig meine Position, fotografiere, halte inne, gröhle, bange, reiße die Hände mit Kamera hoch, fotografiere wieder. So geht es die ganze Show. Das ist bisweilen befremdlich für Außenstehende, aber ich genieße die Show und fotografiere dennoch unentwegt, da hab ich irgendwann eine Balance aus Beidem gefunden. Die Band ist super professionell und dennoch hat man nicht das Gefühl von Routine, die Klassiker, wie Practice What You Preach, The New Order, oder In To The Pit werden gut mit neueren Songs angereichert und alles ist aus einen Guss. Leider vergesse ich die Setliste zu fotografieren – ich habe drauf gesehen und denke so: „Musste noch fotografieren!“, aber das Konzert reißt mich mich – womit ich nicht mehr alles Songs nachvollziehen kann. Setlist.fm gibt zumindest Anhaltspunkte. Kurzum, das Konzert war fantastisch, die Musiker sichtlich zufrieden und es hat sich gezeigt, dass auch im Jahr 2016 das Gladhouse mit Metal-Fans voll zu bekommen ist. Danke an dieser Stelle für Veranstaltungsleiterin Cordula Lenk und die Gladhouse- und Security Crew.
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