Gesichter einer Szene No. 68
Pille (54) Clubbetreiber, Konzertveranstalter
Schon im Mai 2017 hatte ich mit Pille Kontakt aufgenommen, um einen Termin für „Gesichter einer Szene“ abzuklopfen, wusste ich doch, dass ich das „Blackland” an einem Freitag für einen Tormentor Gig besuchen würde. Soweit war auch alles klar, aber irgendwie bekam ich ihn den ganzen Abend nicht zu Gesicht, dachte, vielleicht ist er gar nicht da. In Wahrheit hatte ich Angst zu fragen, ob er im Büro ist, was mir später im Chat eine virtuelle Koppnuss von Pille und Gelächter einbrachte 😉
Zu Ostern hin – in diesem Jahr – verabredeten wir uns erneut. Ich war unterwegs mit meinen Freunden von Antimensch, um deren vier Tage währende Minitour mit Grabak, Invoker und den Rebel Souls fotografisch zu begleiten, die uns am dritten Tag nach Berlin ins Blackland führte.
Wir hatten bereits Erfurt und Leipzig bespielt, uns mit dem Touralltag vertraut gemacht und dort bestes Osterwetter genossen, als wir im tiefbewölkten Berlin aufschlagen. Wir checken unsere Unterkunft, gehen noch ne Pizza essen und fahren dann zum Club.
Wir sind soweit pünktlich und schleppen mit den anderen Bands nach und nach das Equipment über die Rampe nach drinnen. Der Platz ist beengt, aber wir arrangieren uns. Da wir das Blackland von hinten her betreten, ist es diesmal schlicht unmöglich, Pille nicht in die Arme zu laufen. Wir begrüßen uns und der Boss sagt uns, wo es langgeht, wo wir Zeug abstellen können, das Übliche eben.
Der erste Trubel in den schmalen Gängen hinter dem Gastraum legt sich, die Bands beginnen, auf der Bühne Türme zu bauen, was mich veranlasst, mal bei Pille im Büro vorbeizugehen und zu besprechen, wie und wo wir fotografieren und quatschen wollen. Pille klickt noch ein paar Figuren in seinem Online Game und hat dann gleich Zeit für mich, schiebt mich aber zunächst in ein kleines Zimmer mit Ledercouch und großem Fernseher – in welchem gerade eine dieser 80er Jahre US Serien läuft, vielleicht „Trio mit Vier Fäusten“?
„Ich bin gleich bei dir.“, tönt er noch im Gehen, “Muss noch schnell was klären.“ Nu, ich sitze da, glotze auf den Bildschirm und entscheide für mich, dass es damals eh nix Besseres als „Magnum“ gab. Ich greife mein Stativ und beginne es in einer Ecke aufzustellen, Blitz und Wabe drauf, Funkkanal checken, läuft. Ich drehe mich im Drehstuhl hin und her, schlürfe Kaffee, warte und grinse ab und an unseren Musikern zu, die teilweise etwas ungläubig in den Raum gucken, während sie auf dem Gang vorbeihuschen.
Dann kommt Meister Pille, die Tür fällt zu, wir sind allein. Eine der ersten leicht grummeligen Sätze ist dann auch sowas wie: „So, nu komm, machen wir mal hin, ick muss noch Hardjeld holen“ Bei Hardjeld muss ich innerlich erstmal lachen, das Wort hatte ich schon ewig nicht mehr gehört, gelobe Pille jedoch: Na klar, das geht im Prinzip ganz fix, kein Ding.
Während ich also ein paar Testfotos mache, beginne ich Pille auch schon ein paar Fragen bezüglich seines musikalischen Backgrounds zu stellen. Er beginnt, wie ich es wünsche, ganz weit vorn und endet später in der Gegenwart. Und obschon Pille ja vorhatte, noch das Hardjeld zu holen, wurde aus unserem hastig begonnenen Kurzinterview ein doch sehr langes Gespräch, bei dem ich den Eindruck gewann, Pille habe die Zeit vergessen. Er erzählt quasi aus seinem gesamten bisherigen Leben, gespickt mit lustigen Anekdoten, wie auch ernsten Themen, Enttäuschung und Ohnmacht, und doch auch von vollem Stolz, etwas geschafft zu haben. Ein Abriss über sein Leben, das er in dieser guten Stunde eher sich selbst erzählt als mir. Geschichten aus einem Leben, dessen Vielfalt ihn, so komprimiert erzählt, vielleicht sogar selbst überrascht hat…überrascht, über das, was er alles erlebt hat.
Die Tür öffnet sich wieder, ich bedanke mich, Pille muss jetzt Hardjeld holen, verdammt, es ist ja doch schon so spät geworden 😉 Ich organisiere mir ein Bier und gehe zu den Jungs, die erste Band wird bald loslegen, das Tourleben hat mich wieder.
Steckbrief:
Pille (54) Clubbetreiber, Konzertveranstalter
Es gibt Menschen, die ihr Leben lang ihre Hood nicht verlassen, nicht verlassen möchten, die schon immer da waren, wo sie anzutreffen sind und immer dort sein werden.
So einer ist Pille. Pille ist Prenzelberger, schon immer, und so spielt sich der Großteil seines Lebens in diesem Ortsteil Berlins ab.
Pille bekam Rockmusik zuerst von seinem älteren Cousin zu hören, der fand Slade und Sweet gut, da war Pille so zehn Jahre alt.
Etwas später, quasi als Jugendlicher, begann er sich in seiner Gegend diversen Cliquen anzuschließen. Naja und wie das so in Cliquen ist, es werden die ersten Kippen probiert, man ist das erste Mal betrunken und es wird sich über Musik ausgetauscht. Die Älteren unter ihnen hörten auch schon so interessante Sachen wie Purple oder Sabbath, ab hier begann Pille aufzuhorchen.
Mit dem Organisieren in einer Ordnungsgruppe für einen Jugendclub (das geschah natürlich über das Schüleraktiv der Polytechnischen Oberschule 😉 ), lernte Pille auch Kunden kennen, die tatsächlich eigene Schallplatten besaßen. So begann er neben dem Mitschneiden bei „Duett für den Recorder“ auch zu Tapetraden, die Jungs dort hörten schon richtigen Metal, die Scorpions, Def Leppard, Accept, sowas eben.
Zwei Scheiben aus dem Jahr 1979 allerdings beeindruckten Pille ganz besonders: „Highway to Hell“ von AC/DC und „Strangers in the Night“ von UFO. Letztere hörte er so oft, dass er – als er Anfang der 2000er bei einem UFO Konzert in Berlin neben einem völlig verdutzten Jakob Kranz steht – jeden Song mitsingt 😉
In den Zeiten der Wende gibt es nicht nur heftige gesellschaftliche Umwälzungen, sondern auch neue Musik. Es kursierten Tapes von Bands, deren Namen sich anfangs so schwer lasen, wie die Musik krass was. Bands wie Obituary begeisterten Pille ebenso, wie das Debüt von Satyricon. Pille fand Gefallen am Black Metal, eine Leidenschaft, die ihn nicht mehr verlassen sollte.
Pille wurde in einigen angesagten Metal Clubs „Mädchen für alles“, was irgendwann dazu führte, dass er ob seiner Liebe zur Musik auch bald selbst in einigen dieser Clubs auflegte. Die Dinge nehmen ihren Lauf, bis zu dem Punkt, als Pille sich dazu entscheidet, einen eigenen Club aufzumachen. Das Blackland. Mit Hilfe von Freunden gelingt diese verwegene Idee und Pille hat sich bis an diesen Punkt in seinem aufregendem Leben nur wenige Kilometer um sein heimisches Zentrum bewegt.
Dieses Jahr feiert Pille mit seinen Mitstreitern im Blackland das achtjährige Bestehen.
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