Gesichter einer Szene No. 86

Nach zwei Jahren ohne einen Funken „In Flammen Open Air“ versammelten sich im Sommer 2022 wieder Metalheads aller Couleur auf dem „Entenfang“ Gelände in Torgau, um gemeinsam der Musik und dem Feiern anheimzufallen. Die alten Gewohnheiten – wenn man es so nennen möchte, lassen sich eben doch nicht so einfach abschütteln – und das ist gut so.

Am Donnerstag, dem ersten Tag des Festivals ist das Wetter recht unbeständig, was allerdings kaum jemanden abhält, sich vor der Bühne im Regen bei einem Bier die ersten Bands anzusehen. Gegen Abend wird es freundlicher und als ich mit meiner J. gegen 21 Uhr zur Bühne schlendere, um Dool zu sehen, spricht uns ein bärtiger Musikfan an, um in Erfahrung zu bringen, ob ich vielleicht der „Popper-Fotografie“ Typ wäre. Das konnte ich freilich nur mit „ja“ beantworten, und Stephan – so sein Name – lobte meine Fotoprojekte, dabei vor allem „Gesichter einer Szene“. Ich fühlte mich verlegen geehrt, fasse mich aber recht schnell und frage unvermittelt, ob meine neue Bekanntschaft nicht auch Lust hätte, Teil eben dieser Serie zu sein.

Zunächst etwas widriges Wetter 😉
Unser Kennenlernen

Da ich für alle Fälle (oder eben genau solche), im Prinzip alles nötige wie Lichtstativ, Blitze und Funkauslöser im Auto habe, stünde dem nichts im Wege. Freudig willigt mein Gegenüber ein, und so verabreden wir uns für den nächsten Nachmittag.

Pünktlich zu 15 Uhr stehe ich in der Nähe der – ich nenne sie mal – Pisserbrücke, unserem Treffpunkt und nach ein paar Minuten ungläubigen Wartens, kommt Stephan mir entgegen. Wir sind beide ohne Hangover und ich schlage vor, den Weg, vorbei an den Schafweiden voran ins Grün zu nehmen, in der Hoffnung einen coolen Spot zu finden, aber auch, um dem Trubel des Festivals etwas zu entkommen. Weit müssen wir nicht laufen, finden eine andere Brücke mit rostigem Geländer, welche ich ganz gern in das Foto integrieren möchte.

Meine Idee, von unterhalb der Brücke nach oben zu fotografieren, scheitert nach einem Versuch, die Böschung ist einfach zu steil, ich begebe mich also auf Stephans Niveau (gemeint sind hier Höhenmeter, ihr Nasen) und komme nach ein paar Testfotos gut in Schwung.

Nachdem mich einige Fotos überzeugen, setzen wir uns in das Gras und Stephan erzählt mir, wie sein Weg als Musik- und Metalfan bisher verlaufen ist. Dabei entdecken wir erstaunlich viele Gemeinsamkeiten und schweifen bisweilen auch mal etwas ab. Aber hey, es ist Festivalnachmittag, wir haben Zeit und ich einen ausgesprochen angenehmen Gesprächspartner. Zumindest bis zu nächsten Band, die wir auf keinen Fall verpassen dürfen, ⁣slightly smiling face 

Steckbrief:

Stephan (47) Sozialarbeiter im psychiatrischen Krankenhaus

Fan, Sammler, Kuttenträger

Stephans erstes musikalisches Aha-Erlebnis war tatsächlich das A-ha Video, „Take On Me“ im DDR Fernsehen. Dieser und noch einige der folgenden Songs der Norweger konnten ihn immerhin so sehr begeistern, dass er sich damals durchaus als A-ha Fan gesehen hat.

Das Ostdeutsche Fernsehen bot aber noch andere Musik in Form von Bewegtbildern, so zum Beispiel 1987 eine Live-Version des Guns n’ Roses Hits „Welcome to the Jungle“. Musik, Klamotten und Auftreten der Musiker wie Axl Rose oder Gitarrist Slash hatten den Zwölfjährigen sofort verzaubert und ließen den Wunsch aufkommen, so zu sein, sich so zu kleiden.

Seine Eltern – sagt er – fanden es ‘bedenklich’ ließen den Sprössling jedoch gewähren – schließlich vernachlässigte er weder die Schule, noch das Jagdhornblasen winking face

Dabei – Musik wurde im Elternhaus durchaus bewusst und gern gehört (Beatles) und dem (auch lauten) Musikhören des Nachwuchses keine strengen Regeln auferlegt.

Beschäftigt man sich eingehender mit einer bestimmten Sache, kommt es meist zwangsläufig dazu, dass einem da erst auffällt: Es gibt ja noch andere, die sich genau dem Thema widmen. So geschehen in Stephans Schule – wo er wiederum anderen Metal Fans mit seinem selbstbemalten Shirt aufgefallen ist. Es werden Kontakte geknüpft und in alter Ostmanier Tapes getauscht. 

Eines dieser Tapes enthielt Musik von Protector und Sodom. Diese Musik, so sagt Stephan heute, war für den sich am sehr beliebten Heavy Metal und Hard Rock orientierenden jungen Fan, zum damaligen Zeitpunkt ‘zu viel’ winking face 

Überspielt wurde die Kassette trotzdem, denn wer weiß schon, wann manche Früchte reifen möchten.

Zuwachs an neuer Musik gab es vereinzelt auch mal aus dem Westen, so sah sich Stephans Oma damit konfrontiert, ihrem Enkel eine Metal Platte von ihrer Reise mitzubringen. Ihr beherzter Griff in das Regal (Hauptsache bunt und irgendwie spooky) bescherte Stephan so eine Pressung von Iron Maidens „Seventh Son of a Seventh Son“ und damit eine neue Lieblingsband.

Das mit dem Ableben der DDR verbundene „Begrüßungsgeld“ wurde von Stephan – wie von den meisten DDR Metalheads – in neue Devotionalien für die Sache umgesetzt. Eigentlich wollte er die neue Alice Cooper zurück nach Thüringen bringen, wusste aber ums Verrecken nicht mehr, wie Titel oder Cover geartet waren – es wurde ein Best-of Album von Alice, an welcher er sich später laut mitsingend dennoch begeistern konnte.

Es folgen erste regionale Konzerte, das erste Festival und der Musikgeschmack verschiebt sich dann doch noch in Richtung Death Metal, ohne natürlich die Heavy Metal Roots liegenzulassen.

Stephan fährt heute bewusst auch sehr gern allein auf Festivals, weil er so viel eher neue Menschen in der Szene kennenlernt, als das im Kreis mit den Freunden der Fall wäre. Auch nennt sich Stephan eine Merch-Sau winking face, weil er eben die Bands, die er schätzt oder schätzen lernt, unterstützen möchte. Manche dieser erworbenen CDs, Patches oder Sticker gibt er mit Empfehlungen auch an Freunde und Bekannte weiter.

„Spreading the Disease“ eben slightly smiling face 

2 Comments

  1. Erika Oktober 1, 2022

    Stephan, auch dich macht Musik glücklich und ausgeglichen. Weiter so! Liebe Grüße!

  2. Stephan Schwiegershausen September 30, 2022

    Vielen lieben Dank, es war mir echt eine Freude

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