Interview mit Schädel zu ihrem Album „Erosion des Willens“
Ist es eine Band, ein Musikprojekt? Was ist die Intention hinter Schädel? Schädel sind zwei Typen, die ich schon lange kenne, sie gehörten ab Mitte der 90er Jahre zum Kern einer sehr umtriebigen Musikergeneration, in meiner Heimatstadt Guben, die sich den damaligen Zeitgeist zunutze machten, um sich kreativ auszutoben. Dieser Zeitgeist bedeutete damals vor allem, keine Grenzen zu kennen, musikalisch wie auch in der Form der Darbietung auf der Bühne, bedeutete aber auch, sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu arrangieren.
B.Lizzart und Smerth, so die Namen der Protagonisten sind längst nicht mehr in meiner Hood ansässig, aber wir sehen uns immer mal zu musikalischen Scharmützeln aller Art wieder. Nachdem ich Anfang des Sommers auf Bandcamp das neue Album „Erosion des Willens“ digital erworben hatte und mich die Musik des Duos ebenso gefangen nahm, wie schon die 2021er EP „Schwarz mein Meer“, wollte ich Schädel ein paar Antworten auf Fragen aus den knochigen Nasenlöchern ziehen. Wir trafen uns vor einiger Zeit also in meinem Musikzimmer zu Interview.
Zunächst möchte ich aber beschreiben, wie die neue Schädel meine musikalischen Synapsen getriggert hat:
I. „Feindberührung“ beginnt mit sirenenartiger alleinstehender Leadgitarre, welche wir im Song auch immer wieder hören werden, ein Hammerriff und genau der richtige Einstieg. Und so lassen die wuchtigen Drums auch nicht lange auf sich warten und es entwickelt sich ein heftig schneller Song, welcher zudem ein paar coole Breaks bereithält, die mal dem Bass, mal einer akustischen Gitarre Luft zum Atmen geben.
II. „Totale Distanz“ kommt zunächst mit klassisch, getragenem Blackmetal ums Eck, welches sich auf das Mainriff stützt, der Abwechslung wird dazu mit Raserei-Attacken Rechnung getragen.
- Popper: Zweifellos hören wir also Musik, die einem Bandgefüge entspricht, weshalb ich hier meine Gäste fragen musste, ist Schädel denn nun eine Band, oder ein Bandprojekt, oder ein Musikprojekt?
- B.Lizzart: Na ein Projekt auf jeden Fall, eine Band können wir ja nicht sein, weil wir nie live spielen werden.
- Popper: Das ist also praktisch schon in Tüten gegossen?
- B.Lizzart: Das ist die Voraussetzung dafür gewesen, wir machen das Ding eigentlich nur für uns. Also um der Musik willens, ja? Wir haben ja mit Berserkerzorn schon mal ein Projekt gestartet, bei dem wir uns losgelöst haben von anderen. Weil, je weniger Leute mitmachen, umso zielgenauer kann man ja auch Mucke machen.
- Popper: Wann und wie habt ihr dann angefangen?
- Smerth: Das geht tatsächlich bis auf 2014 zurück, wir hatten damals aber auch noch keine genauen Vorstellungen. Und solange nicht klar war, ob da überhaupt was herauskommt, haben wir über das Projekt auch nichts verlauten lassen. Klar war, dass B.Lizzart wieder Musik machen will, klar war, dass es Black Metal werden soll. Es gab da auch Konstellationen für das Projekt zu dritt, aber eben alles so, dass man online zusammenarbeitet.
III. „Strebe zum Licht“ startet mit pfeilschnellem Blackmetal, welcher mit dem Einsetzen des Gesangs an Tempo verliert. Hier gefällt mir oft die Art der Textvertonung – eine Aufgabe, die besonders in diesem Genre und mit deutschen Texten eben tricky sein kann. Das leicht synthetisch wirkende Outro gibt dem Song am Ende noch eine schöne Atmosphäre mit auf den Weg.
IV. Bei„Leuchtfeuer“ sägen zunächst stoisch anmutende Gitarren am Intro, um den Song dann einem sehr geilen stampfenden Blackmetal Part zu überlassen. Der Gesang hat im folgenden schnellerem Mittelteil für meinen Geschmack dann doch ab und an einige Stellen, die nicht perfekt in die Rhythmik passen wollen(sie oben). Der abschließenden Part rekrutiert sich zu Recht noch mal aus dem ersten und hinterlässt somit einen super Eindruck!
- Popper: Da ich gerade auch das Textliche in den Songs beschreibe, was ist zum Namen Schädel zu sagen, was war der Anspruch an den Bandnamen?
- Schädel: Kurz und einprägsam. Und er sollte deutsch sein, da wir ja auch deutsche Texte haben. Wir finden ihn auch ein Stück weit neutral. Wir haben da ja einen Song – Absolute Gottferne – der stand auch mal zur Disposition, aber da hast du wieder alles so hineingepresst in ein Schema. Schädel ist dann eben doch breit gefächert, und lässt viel mehr Spielraum.
- Popper: Smerth, in Leuchtfeuer gibt es ja so eine Passage: „…Es gibt kein Gott, Erhebt euch! Keine Narben mehr!“ Ist es eine Reminiszenz an „Sei Gott“ von Antimensch, da textlich ähnlich aufgestellt und die Band in der du früher Drummer gewesen bist?
- Smerth: Hehe, nee, das hat B.Lizzart auch gesagt, aber das hat Null damit zu tun. Wir haben vielleicht die gleichen Worte benutzt, aber der Inhalt ist ja auch relative klar, worum es geht, oder? Der Text ist auch nicht persönlich zu sehen.
- B.Lizzart: Das ist auch der einzige Text auf der Platte, der – sage ich mal – als gesellschaftskritisch anzusehen ist. Ich bin auch generell von Smerths Texten sehr angetan – ich mein, ich kenne ihn jetzt schon so lange durch die Musik, die wir zusammen machen, und wusste gar nicht, dass er sowas kann. Texte sind schon was Schwieriges, weil sich alle beteiligten Musiker damit identifizieren können müssen.
V. Die doomigen Gitarren im Intro von„Niedergang der Morgenröte“ werden im weiteren Verlauf mit Einsetzen des passenden Gesangs von Doublebass-Lines vorangetrieben. Im zweiten Teil ziehen die Leads an und der Gesang geht deutlich in den Keller, was einen angenehmen Kontrast zum ersten Teil ergibt.
VI. „Tanzlied des Totenschiffs“ hat mich schon beim ersten Anhören sehr begeistert. Zum einen, wegen der herzlichen Raserei des Songs, zum anderen hat mich der Text echt umgehauen. Dass dieser Text als einziger nicht von Smerth stammt, war ob der guten anderen Lyrics nun eben nicht zu erwarten. Der Song gliedert sich in drei Teile: Raserei-Andante-Raserei und gehört zu meinen Lieblingssongs auf Erosion des Willens.
- Smerth: Kennst du den Text? Es gibt eine DDR Band, die den schonmal benutzt hat: Freygang.
- Popper: Also nee, ich kenne Freygang zwar und mag die, so ist mir das aber nicht aufgefallen.
- B.Lizzart: Freygang haben den auch „nur“ vertont, die Lyrics stammen von einem gewissen Bruno Traven aus dessen 1926 erschienen Werk „Das Totenschiff“.
- Popper: Wie sieht denn der Entstehungsprozess der Musik von Schädel aus?
- Smerth: Also alles Musikalische, die Instrumente etc. ist B.Lizzarts Ding und Texte sind meine Seite und auch wie dann der Gesang draufkommt. Das Schöne war ja bei „Schwarz mein Meer“ dass ich in Hannover aufgenommen habe, da hatte B.Lizzart ja keine Kontrolle (lacht) also er hat dann quasi die fertigen Spuren bekommen, so bin ich halt . Als dann beschlossen war, dass ich das Schlagzeug physisch nicht spielen werde, ich also den Gesang mache – wurde mir klar – gut, da muss ich also Texte schreiben! Das hat natürlich eine Weile gedauert, ich kann nun mal nicht Texte auf Knopfdruck schreiben.
- B.Lizzart: Wir wussten nicht mal, dass du überhaupt Texte schreiben kannst! Wir sind ja erst drauf gekommen, als wir dann mal ein paar Texte hatten .
- Popper: Entsprechen die Texte auf „Erosion des Willens“ deiner jetzigen Gefühlswelt? Wahrscheinlich nicht so häufig, wie es so ein Album halt erscheinen lässt – woraus ziehst du denn die Inspiration für deine Lyrik?
- Smerth: Also die Texte sind schon aus einer krassen Zeit. Also hier für die Scheibe habe ich auch alle nur nachts geschrieben oder frühmorgens, wie auch immer, sie sind teils persönlich, aber auch Beobachtungen aus einem dunklen Lebensabschnitt, aus einem sehr dunklen Lebensabschnitt.
VIII. Mich erinnern die ersten gesprochenen Verse von Tränen des sterbenden Scheusals in ihrer Phrasierung irgendwie an Rammsteins„Ich will“ Auch vom Songaufbau könnte ich mir das zum Teil einbilden, egal sicher Zufall. Spätestens ab der Hälfe des Songs sollte die gebotene Härte und Geschwindigkeit jeden Zweifler verstummen lassen.
- Popper: Ihr habt ja bisher ausschließlich über Bandcamp in digitaler Form veröffentlicht, wird sich das in irgendeiner Form ändern?
- Smerth: Wäre schön
- B.Lizzart: Also ich möchte zunächst so ein CD-Digipack machen, aber dazu müsste natürlich auch eine Nachfrage da sein, und ein Label, das es vielleicht veröffentlichen will.
- Popper: Na wie ist denn da der Stand, habt ihr da schon was?
- B.Lizzart: Wir haben noch gar nüscht, wir werden auch nichts haben, weil wir uns da noch nicht gekümmert haben (lacht)
- Smerth: Wir kennen da auch ernsthaft niemanden.
- Popper: Die Veröffentlichung über den YT-Kanal „Black Metal Promotion“ ist doch aber sicher als Erfolg zu werten, oder?
- Smerth: Ja klar, das war schon cool, auch die Rückmeldungen, wir erreichen ja sonst auf keinem Wege Leute, auch weil wir ja nicht live spielen.
- Smerth: (an B.Lizzart gewandt), du sagst kategorisch, nein?
- B.Lizzart: Na es war vorhin die Frage, ob wir das mal vorhatten, und wir hatten es nicht vor Ich wollte nicht live spielen, also noch nie. Weil die Songs, das muss man vielleicht auch mal dazu sagen, wenn du mir jetzt eine Gitarre in die Hand gibst, dann kann ich nicht einen Song spielen!
- Smerth: CUT! (muss lachen)
- B.Lizzart: Nee, das ist wirklich so, ist mir auch völlig Wurst. Es ist eher so, dass ich mir einen Song ausdenke und den dann fertig mache. Dann kann ich den für diese Zeit spielen – wie früher in der Schule ein Gedicht lernen – das kann ich für die Zeit, und danach lass ich den wieder los.
- Popper: Das ist ja vielleicht auch so, weil es in deinem Bewusstsein gar keinen Grund gibt, sich den Song zu merken.
- B.Lizzart: Genau, das ist für mich ein abgeschlossenes Ding
VIII. Das Album schließt mit„Vita reducta“, einem Song, der von seiner Vielschichtigkeit in der Instrumentierung und im Gesang lebt. Wir hören zweistimmigen Normalstimmen, wie auch garstige Blackmetal Auswüchse bei entsprechendem Speed in den Gitarren und der Doppelkloppe via Schlagzeug. Zum Ende zerfällt der Song in das mystische Thema des Intros. Top!
- Popper: Singt ihr da beide?
- B.Lizzart: Das ist Smerth, mit zwei aufgenommenen Stimmen.
- Smerth: Das war auch eher zufällig entstanden, also es gab diesen Part, aber eben nicht mit zwei Stimmen.
- B.Lizzart: Obwohl ich da auch so meine Angst hatte, weil, ich habe das ja zunächst pur gehört und war mir nicht sicher, auch wegen des Deutschen, weil das ja alles so gut zu verstehen ist. Es war auch sonst schwierig mich zurückzuhalten, ich hätte gern was gesagt, wie du was singst (meint hier Smerth Anm. Popper), aber ich dachte dann: Nee, das ist sein Part und das muss er allein machen.
- Popper: Hast du da manchmal gedacht: Ich hab jetzt schon genug gemacht auf dem Album, oder ich rede da jetzt nicht rein, weil sich das nicht gehört?
- B.Lizzart: Nö, weil dann wäre es nicht mehr unser Projekt – unser gemeinsames Projekt
- Popper: Zum Schluss unseres kleinen Interviews möchte ich mal auf Cover und Layout zu sprechen kommen. B.Lizzart, du hast alles selbst erstellt, also ohne KI? (Hintergrund ist hier, dass B.Lizzart sich als Grafiker derzeit verstärkt mit KI generierten Abbildungen beschäftigt. Anm. Popper)
- B.Lizzart: Ohne KI, das ist alles noch komplett in 3D gerendert, also das komplette Video zu „Feindberührung“, und daraus habe ich ja dann das Cover und Layout gemacht. Es war genauso aufwändig wie die komplette Scheibe zu machen, drei Monate habe ich dran gesessen.
- Popper: Wirklich krass und auf jeden Fall sehr sehenswert!
- B.Lizzart: Ich wollte da was im Stile von Theaterstücken machen, also die Optik und Wirkung wie ein Bühnenbild.
- Popper: So wie wenn die manchmal so mit Stelzen und langen Gewändern herumlaufen?
- B.Lizzart: Ja, genau so war die Idee, bloß dunkel eben.
- Popper: Aber einen direkten Bezug zwischen Video und dem Songtext gibt es nicht, oder?
- B.Lizzart: Das ist eine interessante Frage, die wollten wir eigentlich offen lassen.
- Smerth: (grinst)
- B.Lizzart: Also er (Smerth) hat mir den Text gezeigt und ich habe nicht sogleich verstanden, worum es geht, es ist ja auch eine Interpretationsfrage. Weil, als ich mit den visuellen Sachen angefangen hatte, und Smerth mir etwas über den Sinn verriet, wurde mir klar, also okay, das passt nicht zusammen Oder jedenfalls, nicht so wie ich dachte. Aber, wir wollten diesen Song als erste Veröffentlichung zusammen mit dem Video.
- Popper: und wie habt ihr den Konflikt aufgelöst?
- B.Lizzart: Wir haben uns letztendlich entschieden, beides einfach trotzdem zusammenzubringen. Wieso soll immer alles ganz deutlich gezeichnet sein. Es ist, denke ich, viel spannender für den Zuhörer bzw. Zuschauer, eine eigene Deutung anstellen zu können. Und das ist gut so.
Ich hoffe, mit diesem kleinen Einblick in das Musikprojekt Schädel beim geneigten Leser Interesse an ihrer Musik geweckt zu haben. Schädel reihen sich mit „Erosion des Willens“ in die illustere Riege derer ein, die Musik um der Musik willens erschaffen – auch wenn das bedeuten kann, damit nicht so recht vom Fleck zu kommen. Und hier scheinen zwei Herzen in der Brust der beiden Musiker zu schlagen. Jenes, welches ehrgeizig einzig und allein für die Musik schlägt und jenes, welches sich in nicht ganz so behänder Frequenz für Präsenz in der Musikszene (ob nun mit einem physischen Tonträger oder gar Bühnenauftritten) schlägt.
Für mich passt beides, und ein Besuch des Bandcamp-Profils von Schädel sei hiermit ausdrücklich empfohlen.
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