Gesichter einer Szene No. 77
Es ist Samstag der 2. November – regnerisch, grau, dabei relativ mild. Ich bin auf dem Weg in den Spreewald, dort habe ich mich mit Matze vor dem Kulturhof in Lübbenau verabredet. Es ist gewissermaßen unser zweiter Anlauf, ein Foto für „Gesichter einer Szene“ anzufertigen. Wir versuchten es schon mal auf dem Gahlen Moscht Festival, an jenem Sonntagnachmittag war ich allerdings nicht gerade motiviert. Dazu kam, dass ich auch mein Lichtstativ zu Hause vergessen hatte. Matze nahm es mir nicht krumm, so tranken wir ein Bier im Schatten und quatschten, dabei uns versichernd, dass es schon noch klappen würde.
Und natürlich, deshalb war ich nun unterwegs, den Scheibenwischer Stufe um Stufe hoch regelnd, im Gedanken daran, es möge vor Ort nicht regnen. Ich fahre eine Strecke, welche ich als Pendler über acht Jahre gefahren bin, zumindest die 50 Kilometer bis Burg im Spreewald. Eine lange Zeit. Ich bin froh, dieses Pendlerleben hinter mir zu haben, welches ich rückblickend als eine ziemliche Verschwendung von Zeit und Ressourcen betrachte. Seit einem Jahr fahre ich mit dem Rad auf Arbeit im Heimatort, habe dadurch mehr Freizeit, weniger Stress. Jetzt hier so lang zu fahren, ist eigenartig, denn bei jeder Biegung, Kurve oder Kreuzung sind die Handgriffe, die Gangwechsel, welche sich über die Jahre eingeschliffen haben, noch immer dieselben, wie ein Autopilot bin ich unterwegs.
So manchen Tag hielt ich damals irgendwo auf diesem Weg, stieg aus, um ein Foto zu machen, wenn das Licht des Morgens so malerisch auf die Landschaft fiel.
Der Kulturhof kommt in Reichweite, Matze ist ebenso pünktlich und nach der herzlichen Begrüßung begeben wir uns auf Motivsuche. Diesen Eisenbahnwagon hatte ich – wie auch Matze – schon im Sinn und so beginne ich mit dem Lichtaufbau. Da Matze recht weit oben stehen wird, muss ich freilich mit dem Blitzlicht auch weiter hoch. Man unterschätzt das gern und am Ende wird es gerade so reichen. Der Wind hält sich in Grenzen – denn das wäre in dem Moment auch noch ein Thema für das hoch ausgezogene Stativ. Dazu muss ich darauf achten, die Kamera so wenig wie möglich nach oben zu neigen, um stürzende Linien zu vermeiden, ein kleiner Tritt wäre nicht schlecht gewesen, aber am Ende passt es schon, den Rest werde ich softwareseitig gerade ziehen.
Natürlich führen wir noch ein Gespräch zum Thema Metal. Und auch wenn wir ab und an mal etwas abschweifen, sind es ja auch diese Dinge, die es mir ermöglichen mich auf meinen Protagonisten einzustellen, mir ein Bild von ihm zu machen, welches später das Foto mit Worten abrunden wird.
Das Grau des Himmels, so scheint es, rückt immer tiefer, lange wird es nicht mehr hell sein, wobei: hell?
Wir verabschieden uns, lange brauchen wir auf ein Wiedersehen in der Regel nicht warten. Ich steige ins Gefährt und werde erinnert, dass ich auf Reserve fahre. Hm, hau ich noch ein paar Angst-Liter in den Tank, es gibt hier keine fünf Minuten entfernt eine gewisse Tankstelle, vielleicht treffe ich dort Anke oder Steffen… Gedacht, getan, und Pech gehabt, keiner von beiden schiebt heute Dienst. Naja, etwas ruhiger ohne die Warnleuchte für den Benzinvorrat im Display fahre ich Heim, derweil sich im Westen die Sonne beim Untergehen doch noch anschickt, ein paar Farben an den Horizont zu malen. Da müsste ich doch nochmal anhalten für ein Foto – und ich weiß auch schon wo…
Steckbrief:
Matze (28) IT-Administrator
Fan, Tontechniker
Als der damals zwölfjährige Matze mal wieder einen gewissen Tony Hawk virtuell skatend über den Bildschirm flitzen ließ, verfing ein ums andere Mal ein Song aus der Playlist des Games mehr als andere: „Ace Of Spades“. Und auch wenn die Spielgestalter pflichtbewusst den Namen der Band am Bildrand einblendeten, waren das für Matze damals nur böhmische Dörfer, fürderhin sich seine Recherche – im Ländlichem wohnend – aufgrund des seinerzeit eben noch nicht ausgebauten Internetangebotes schwierig gestaltete.
Es dauerte also eine gewisse Zeit, bis sich der Schleier lüftete und die Vorliebe für harte Sounds in Matze eine Heimat fand. Bis dahin ergatterte er da und dort diverse CD-Sampler, welche die in den 2000ern üblichen Verdächtigen supporteten. Auf einem Crusty Demons – The Metal Millennium VHS(!) Sampler fand sich dann aber mit dem Song „Voodoo“ der Amis Godsmack ein Stück Musik, das Matze derart beflügelte, dass er sich auch dieser Tage noch regelmäßig durch den Backkatalog seiner – von da an neuen – Faves hört.
Während der Schulzeit rekrutierte sich die gehörte Musik aus seiner Hood, mit der er via Skateboard unterwegs war. Darunter waren durchaus auch kleine lokale Bands, die allerdings selten Tonmaterial zu Verfügung hatten. Mit Beginn der Lehrzeit lernte Matze neue Leute kennen, einige davon waren Metalheads und gingen so oft es ging zu Konzerten im Kulturhof Lübbenau, später schwärmten die jungen Wilden weiter bis nach Cottbus aus – Ziel war hier meist das Cellador.
Dabei blieb es nicht. Die Lausitzmetropole bot schließlich mit dem Muggefug einen Undergroundclub mit langer Tradition in Metal/Ska/Punk- und allgemein schräger Musik, die Matze und seine Mannen nicht ignorieren konnten. So traf man sich immer öfter in diesem Etablissement, und da Matze – mittlerweile in Cottbus studierend – eh am Wochenenden im Mufu abhing, wurde er schließlich Mitglied im e.V.
Am heimischen PC mündeten derweil erste Versuche mit elektronischer Musik in ein sehr starkes Interesse an Sounds und wie diese am besten harmonieren. Er fing an, sich für Tontechnik zu interessieren.
Matze schaute nun auch immer öfter seinem Kumpel Rafa über die Schulter, wenn dieser im „Mufu“ die Bands des Abends mixte und studierte daheim Grundwissen. Sein erster eher unfreiwilliger Einsatz als Tonmann absolvierte er bei einem Ausfall seines Sidekicks bei einer Skaband, eine Aufgabe, die er mit Bravour bestand…die Band ging ihm jedenfalls nicht an die Gurgel, bedankte sich stattdessen für die Arbeit.
Seitdem ist er als Tontechniker bei allen möglichen Events anzutreffen, er lebt dabei sein Interesse an Musik und Technik ebenso aus, wie die Faszination an der Möglichkeit unterschiedlichste Töne durch geschicktes Mixen zueinander finden zu lassen.
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