Gesichter einer Szene No. 80
Ein schöner Herbsttag, recht mild und sonnig. Nach ungefähr sechs Wochen starte ich mein Fahr- Stehzeug mal wieder, die Batterie scheint okay, nur die Bremsen schleifen ob des angesetzten Flugrosts noch ein wenig. Ich bin unterwegs nach Cottbus ins Muggefug, um Raphi für ein Foto zu treffen… also ab dafür.
Als ich auf den Hof rolle, ist niemand zu sehen, also gucke ich mal, was drinnen los ist. Mir fällt die schwere Tür ebenso auf, wie die erhöhte Schwelle, all diese vertrauten Dinge, welche in den letzten Monaten von den wenigsten der üblichen Besucher benutzt oder überschritten wurden, denen sonst kaum Beachtung geschenkt wird. Jetzt rufen sie sich ins Gedächtnis zurück.
Im Mufu selbst ist es stockduster. Die schwarzen Vorhänge lassen kein Licht der Fenster hindurch, die Beleuchtung ist aus. Nach einem kurzen Moment, in dem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen müssen, raschelt da was, eine Stimme erhebt sich: Raphi.
Wir verbleiben freilich nicht im Club, denn einerseits hat er bisher schon für einige „Gesichter“ als Kulisse gedient, andererseits ist das Wetter draußen einfach zu gut. Ich habe vorhin da draußen auch schon so eine Ecke ausgemacht, die mir fotogen erscheint. Zunächst gleichen wir mit Raphie erst mal unsere Realitäten ab.
Als Vorstandsmitglied im Muggefug e.V. weiß er natürlich aus erster Hand, wie beschissen sich die Lage verhält. Covid19 sorgt weiterhin, vielmehr zum zweiten Mal, für ein völlig zum erliegen gekommenen Kulturbetrieb im Land. Zumindest besteht mittlerweile mehr Hoffnung als im Frühjahr, die Situation mittels Impfstoff entschärfen zu können.
Bevor uns das Thema weiter runterzieht, reibe ich mir die Hände und schlage vor, zu fotografieren. Ich schiebe einen der hier wie willkürlich abgestellten Einkaufswagen neben den Schrottcontainer, er soll der Szenerie einen weiteren urbanen Touch geben. Lichtstativ, Belichtungscheck – Raphi fragt ob, er eine Rauchen kann. Klar, ich bin ja noch nicht so weit. Dabei: er ist noch nicht ganz fertig mit der Kippe, da haben wir das eigentliche Foto schon im Kasten, keines davor und keins danach wird mir besser gefallen. Noch fix drei Alternativen. Danke.
Ich frage Raphi nun, ob er Bock auf ein Bier hat – hat er, ich ebenso. Also die Kofferraumklappe geöffnet, und den vorhin im Supermarkt erstandenen Kasten um zwei Flaschen erleichtert – Fump!
Wir setzen uns an die hölzerne Sitzgruppe vor dem Club, ich starte die Recorderapp und frage Raphi aus 😉 Als es dann um Opeth geht, schweifen wir etwas ab, weil: Wann hab ich schon mal die Möglichkeit mit jemanden zu quatschen, bei dem Namen wie Steven Wilson oder Mikael Åkerfeldt ebensolche Reaktionen hervorrufen wie bei mir… jedenfalls viel zu selten.
Langsam zieht dann doch Kühle in meine Klamotten. Verstehe gar nicht, wie Raphie mit kurzen Buchsen rumlaufen kann…ja es ist für Mitte November mild…aber hey 🙂 Nun, wir haben ja jetzt alles und kurz nach unserer Verabschiedung bin ich auf den Heimweg.
Auf Hälfte der Strecke zeichnet sich ein fantastisches Abendrot ab, was mich in Tauer nochmal kurz rechts abbiegen lässt, um den farbenfrohen Horizont fotografisch einzufangen… Ein guter Tag neigt sich dem Ende, ich bin zufrieden.
Steckbrief:
Raphi (30) IT-Systemelektroniker, Audio Engineer
Fan, Techniker, Mitglied bei Endwar Records, Veranstalter u.a. bei Gahlen Moscht, PunkOiRama, Mosh gegen Krebs.
Bei Raphi hatte Musik zunächst einen eher praktischen Nutzen. In der Schulzeit erkennt er für sich, dass der strukturelle Aufbau von Songs ihm als eine Art Konzentrationstool dienen konnte, oder als Stimmungsverstärker, je nach Laune. Das daraus einmal mehr werden würde…?
Als junger Bengel konnte er gut mit Hip Hop Bands, die abseits eingetretener Wege unterwegs waren, etwas anfangen, wobei sein Bruder mit Empfehlungen zu Bands wie Cypress Hill seinen musikalischen Nerv traf.
Empfehlungen, was wäre der Musikfreak ohne sie? Und so kommt auf diesem Weg eine Weitere, von einem Bekannten aus der Schule – betreffend des Debütalbums von Dimmu Borgir, „For All Tid“, welches ihm eine bis dato völlig unbekannte Stilrichtung des Metal eröffnete: Blackmetal.
So ganz verfingen diese Klänge vorerst nicht, dafür sorgten dann doch eher Bands aus dem Deathmetal Lager…zumindest so zwei Jahre lang. Denn auch wenn er Deathmetal nach wie vor mochte, so konstatierte er mit der Zeit etwas sich Wiederholendes, Ausgetretenes – es war auf Dauer irgendwie nicht erfüllend.
Und dann kam Opeth! Die Schweden begeisterten Raphi quasi instant mit ihren ausschweifenden, teils langen Songs, ausgefeilten Songstrukturen, Tempiwechsel, krassen Stakkatoparts und einem facettenreichem Gesang. Ohne gewusst zu haben, wonach er eigentlich suchte, hatte er eine Band und damit auch ein ganzes Genre gefunden, in dessen Pool er nun nach belieben fischen kann.
Mit Anfang 20 knüpfte Raphi engere Kontakte mit der Cottbuser Metalszene und fing an, sich im „Muggefug“ zu engagieren. Einige der neuen Bekannten brachten auch neue Mucke auf die Geschmackswaage, Grind und Gore ließen selbe positiv ausschlagen. Auch Blackmetal schob sich seitdem wieder in Raphis Blickfeld, hatte doch gerade jene Musikrichtung in den letzten Jahren mit neuen progressiven Elementen interessante Bands hervorgebracht, die es zu entdecken galt.
Die stete Tätigkeit hinter dem Mischpult, die Erfahrungen, brachten dann aber auch einige Veränderungen mit sich. Einer neuen Scheibe gesteht Raphi durchaus zu, dreimal angehört zu werden, bevor er sich ein Urteil bildet. Auch gelingt es Raphi seitdem nur schwer, irgendeinen Veranstaltungsort zu betreten, ohne sich ad hoc ein Bild vom Ton zu machen. Er hört Musik dann eben anders, immer auch unter dem Gesichtspunkt, wie der Sound perfekt sein könnte… so es das gibt 😉
Comments are Disabled