Protzen – Im Dead Land

Recherche – Was man wissen könnte

Festivalsommer 2019, wir wollen das erste Mal zum – von Kennern nur liebevoll „Protzen“ genannten – “Protzen Open Air” in, tja, Protzen eben (Ja, Kinners, so schreibt man SEO konform 😉 ). Es geht also mal etwas mehr in Richtung Norden, wobei, der Online-Kartendienst weist schlappe dreißig Kilometer vom Berliner Hauptstadtring aus, da ist es sicher übertrieben gleich vom Norden zu sprechen. Von unserem Heimatort sind etwas über 220 Straßenkilometer zurückzulegen, was ich okay finde.

Während ich also ein paar Tage vorher unsere Anfahrt zum Festival am heimischen Monitor übe, suche ich das WorldWideWeb nach ein paar Berichten zum Thema ab. Glaubt man diesen, so ist dem Protzen Open Air ein gewisser Hang zu Wettereskapaden zu attestieren.

Wie es so meine Art ist, rechne ich sogleich mit dem Schlimmsten und male mir alle möglichen Arten des „Camping Of Death“ aus. Von Windhosen zerfetzte Zelte, durchnässte Klamotten, Dauerregen und Morast. Folgerichtig gilt meine nächste Recherche dem örtlichem anzunehmenden Wetter für jenes Wochenende…na, ich könnte Glück haben, es scheint ganz friedlich zu werden.

blick auf auf einen teil des camp beim protzen open air

Anreise: Entspannt ohne Hast

Mit unseren Sidekicks Anke & Steffen, mit denen wir nun schon im dritten Jahr diverse Veranstaltungen bestreiten, verabreden wir für den Donnerstag einen Treffpunkt auf der A10, den wir unabhängig voneinander anfahren wollen, um den Rest des Weges gemeinsam zu fahren.

Jene Abfahrt ist gesperrt, also wird als Alternative fix die nächste Raste vereinbart, dort warten wir auf die Beiden, was meine J. dazu nutzt, sich ein erstes Radler hinter die Binde zu kippen. Recht so.

Endlich vereint, zuckeln wir durch weitere Baustellen bis zu Abfahrt Neuruppin Süd, von dort ist es dann nur noch ein Katzensprung.

Einen geeigneten Stellplatz können wir auf dem abgestecktem Areal der “Skullcrusher Dresden” beziehen, jedoch – noch bevor es an den Aufbau der künftigen Behausung geht – machen sich die Verschlüsse der ersten Hülsen ächzend Luft und wir genehmigen uns ein Ankunftsbier.

Wir werden direkt an einem der Hauptwege des Areals Campen, welcher mit einem halbmeter hohem, rotem Zaunnetz die Richtung weist. Hier ist schon reger Publikumsverkehr, sodass alle Nase lang jemand bei uns anhält um uns vier zu begrüßen. Dabei achte ich natürlich darauf, dass sich keiner zu weit über den Zaun neigt, denn das ist ja nun schließlich unser Heim für die nächsten Tage und Ordnung muss sein ☝️ 😉

Die Temperaturen sind heute moderat, sodass man durchaus nach Sonnenuntergang einen Zipper überziehen möchte. Da meine Liebste gerade im Zelt ist, lasse ich mir meinen herausgeben und streife ihn über, um zu bemerken, es steht zwar Kreator drauf, jedoch in Rot, nicht in Weiß. Der Überzieher mit Kapuze ist dazu deutlich kürzer als gewohnt, und der Reißverschluss ist im Eimer. Mit anderen Worten: Es ist nicht mein Kreator Zipper, sondern der ausrangierte meiner Frau, den sie immer bei der Gartenarbeit trägt… so wir einen Garten hätten. 

Oh, wie soll ich nur dieses Festival ohne einen funktionstüchtigen Zipper überstehen?

Die Dunkelheit ist schließlich über uns gekommen, wir gehen zum Festzelt, um bei Konservenmucke ein paar Bier zu schlürfen und den Abend ausklingen zu lassen. Wenigstens die Ärmel sind nicht zu kurz…

Freitag: Mein schönster Tag, bis auf…

Die Nacht war kalt, so kalt, dass ich zwischenzeitlich zusammen gekauert, bibbernd unter meiner Decke wach lag. Warum packe ich mir nicht einfach noch eine lange Jogginghose und ein paar dicke Socken ein? Das wird sich ändern müssen. Wenigstens die ungeschlossene Kapuzenjacke gab moralischen Halt, wenn auch nicht viel 🙂

Die Sonne schafft es am ersten echten Festivaltag bis Mittag nicht, die Wolkendecke zu durchbrechen, wir genießen den ersten frisch aufgebrühten Kaffee, um gegen halb zwölf zum Frühstück überzugehen – es ist hier richtiges Frühstück gemeint! 

Es kommen immer mal Bekannte von Anke & Steffen vorbei, mit denen sich kurzweilige Gespräche ergeben, bis schließlich Deathmetal Danny auftaucht und die Situation in ein ad hoc anberaumtes Fotoshooting mündet. Was und wie das geschah, ist hier nachzulesen.

Dadurch geht mir etwas der Konzertbeginn am Freitag verloren, ich komme also erst so zum Ende von Macbeth wieder ins Infield, zu dieser Zeit hat die Sonne auch wieder die Oberhand über die Prignitz gewonnen, es wird warm.

Apropos Infield – Wie ist das Protzen angelegt?

Das Protzen Open Air hält es ähnlich wie das „Chronical Moshers” im Vogtland (einen Bericht dazu gibt es hier). Es gibt einen Campground und besagtes Infield. Spätestens um das Infield zu betreten, braucht es eine Eintrittskarte, mit ihr gibt es ein Kontroll-Band ums Handgelenk. Dazu kann man sich für fünf Euro ein “Klo-Bändchen” umlegen lassen, was es ermöglicht, den wirklich stets sauberen Toilettenwagen inklusive frischem Wasser+Seife zu nutzen. Das Infield hat vielleicht eine Fläche von etwas über 50×50 Metern, was sich nicht viel anhört, aber für die avisierten 1000 Gäste absolut partytauglich ist. Alle zusammen dürften in den seltensten Fällen zugegen sein.

Gleich nach dem freundlichen Einlass liegt linker Hand das Festzelt für Konservenmucke und Frühshoppen, Bier und Gegrilltes – rechter Hand reihen sich diverse Merchstände aneinander. Geradezu kommt man am (dieses Jahr ungenutzten) Lagerfeuerplatz vorbei und steuert so direkt auf den Hanger zu, dem konzerttechnischem Dreh und Angelpunkt der Veranstaltung – eben ähnlich dem bekannten Zelt auf dem “Chronical”. Die meisten der Gäste lässt ein leichter Drall allerdings erst mal nach rechts Hinten zum Bier-Rondell trudeln, denn wer will schon mit trockener Kehle vor die Bands treten?

Für Bier und alle anderen Getränke, die direkt vom Protzen OA kommen, sind Getränkebons fällig, die sinnvollerweise gleich nach dem Einlass gegen eine selbst gesetzte Summe Cash ausgegeben werden – so man das möchte. Das sorgt für einen reibungslosen schnellen Nachschub, und wer tatsächlich am Ende der tollen Tage noch welche übrig hat, tauscht sie unkompliziert zurück. Ebenfalls rechts wird das Gelände noch von zwei Wagen flankiert, die wirklich gute Burger, leckere geröstete Baguettes, sowie verschiedene Drinks servieren.

Ich entscheide mich genau jetzt für ein frisches Pils vom Stand und stelle mich in den ca. 30cm breiten Schatten des zentralen hohen Scheinwerfers und halte Ausschau nach den anderen.

Lange muss ich nicht warten, und die zwar durchgeschwitzt, aber glücklichen Mienen lassen erahnen, dass Macbeth heute richtig abgeräumt haben.

Mich interessiert heute vor allem das Schweizer Duo “Bölzer”, bis dahin ist noch etwas Zeit, die wir auf mal auf dem Camp, mal auf dem Infield, mal im Hanger verbringen. 

Veranstalter Mario, ich hoffe, wir schaffen nächstes Jahr „Gesichter einer Szene“

Wie üblich habe ich mein Ticket selbst bezahlt und den Veranstalter lediglich gebeten, mir eine Erlaubnis zu geben, hier fotografieren zu dürfen. Eben auch Backstage, wenn ich von der einen oder anderen Band fix ein “Druckgerockt” Foto machen möchte. Ich bin in erster Linie hier, um eine gute Zeit zu haben – falls jemand meint, Band XY sei im Bericht zu kurz zu kommen, seht es mir nach.

Zurück zum Freitag…

Deathrite aus Dresden

Meine erste Band – und es werden am Ende nur vier sein, die ich auch fotografisch festgehalten habe – sind die Dresdner Deathrite, welche mich vor allem mit ihrer ungestümen, dabei nicht aufgesetzten Art, überzeugen. Die Musik ließe sich als angenehm räudig, treibender Black/Thrash beschreiben. Ich fand’s Klasse!

Nach kurzer Umbaupause dann Bölzer: Die Band ist mir nicht unbekannt, live erleben konnte ich sie hier auf dem Protzen Open Air das erste Mal, und das Duo hat mich sogleich in seinen Bann gezogen. Es ist immer wieder erstaunlich, was für eine Sounddichte zwei Musiker live erzeugen können. Am geilsten kommen Bölzer für mich, wenn sich ihre im Blackmetal beheimateten Songs in treibende Beats und Riffs verlieren und Frontmann KzR dabei mit seinem klagenden Gesang die Musik entsprechend düster und mystisch klingen lässt…um sich dann immer wieder der Raserei hinzugeben. Nach einem Durchgerockt-Bild stehe ich kurze Zeit später am Merchstand vor dem Hanger und erstehe die “Aura“ EP – ich warte sogar, bis beide Musiker Zeit für Autogramme haben, was bei mir nicht so oft vorkommt.

Bölzer

Ein weiterer Höhepunkt am Freitag sind Vader.  Vader für die „Durchgerockt“ Serie fotografieren zu können war mir ein großes Bedürfnis. Kurz vor eben diesem Foto, überreiche ich der Band einen Briefumschlag mit ausbelichteten Fotos aus über 10 Jahren, in denen ich Vader vor der Kamera hatte, so mach ich das öfters.  

Vader für das Druchgerockt Fotoprojekt

Was dem allerdings vorausging, war für mich ein mittleres Fiasko. Der Gig tobt noch:

Beim ersten Gerangel in den vorderen Reihen flog meine Streulichtblende unauffindbar ins Dunkel. Okay, ich hatte ja erst auf dem “Gahlen Moscht” eine eingebüßt, dass das jetzt zur Gewohnheit wird…? Zu guter Letzt wurde ich im Pit so arg mitgerissen, dass sich mein Objektiv vom Bajonett der Kamera löste und in den betonierten Dreck flog. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas möglich ist. 

Dafür kann natürlich nur ich selbst etwas. Ich muss ja nicht aus der Menge heraus fotografieren. Und: die Fans sollen ihren Spaß haben, ohne auf mich Rücksicht zu nehmen, etwas anders kommt nicht in Frage.

Backstage

Es sind an diesem Abend auch Live Fotos entstanden, allerdings habe ich erstmals entschieden, alle Fotos zu löschen. Das vornehmlich blaue LED Licht war so grottig und mit übermäßig Nebel versetzt, dass sie einfach nur Scheiße aussahen, und auch später in der RAW Entwicklung nicht zu retten waren. Jedenfalls nicht, ohne die Lust daran zu verlieren.

Zum Glück ist das Objektiv nicht abgerissen, es hat ein paar Blessuren erhalten, die ich am nächsten Tag genauer untersuchen will. Zur Not hab ich ja noch meine kleine Fuji dabei.

Absacker-Bier, Pullern, ab ins Bett.

Samstag: Lethargie…

Auch die letzte Nacht war für mich zu frisch, jedoch beginnt der Tag mit Sonnenschein und erwärmt das Zelt recht schnell. Es wird ein heißer Tag werden.

Ruck zuck steigen die Temperaturen auf über 30°C, Sonnenbrille ist Pflicht, Schatten ebenfalls.

Aber gerade Schatten bietet das Gelände recht wenig, und so wirkt das Infield über die heißen Stunden des Tages immer etwas ausgestorben, da sich alle irgendwie an die Ränder des Platzes verziehen, wo es einige schattige Stellen gibt. Der Hanger ist leider auch nicht der günstigste Ort, dafür fehlt es ihm an Luftzirkulation. Ich traue mich das erste Mal bei Sinners Bleed in den dunklen Schlund, da ist es gegen halb drei, und die Sonne ballert unbarmherzig. Sinners Bleed aber auch! Bevor man reingeht, denkt man immer, es sei sicher ziemlich voll im Innern. Das täuscht meist, da eben viele Fans eher die ersten Meter hinter dem Rolltor stehen bleiben. Ich gehe mit meiner J. mal bis vorn durch, Platz ist schon da, aber nach drei Songs zieht es uns wieder nach draußen. Hut ab, vor all den Musikern, die ihre Shows bei der herrschenden Demse so souverän durchziehen! Im Hanger gibt es übrigens rechts am Eingang einen Bierstand. Dessen Tresenhöhe ist etwas unkonventionell ausgelegt. Ich musste mich deutlich auf Zehenspitzen stellen, um das Gefühl zu bekommen, für eine Bestellung gesehen zu werden 😉 Ich fragte natürlich nebenher nach dem Grund der künstlichen Erhöhung…sie ist recht subtil: es gibt eben immer wieder Leute, die einfach mal was mitgehen lassen, wenn das Personal beschäftigt ist. Sick!

Am Bierstand draußen ziehen wir uns zwei Radler, ich komme mit den 0,3l Bechern nicht klar, ich bin eben Biertrinker und habe immer das Gefühl, nach zwei Zügen ist die Suppe alle 😉

Zwischenzeitlich sind wir immer mal auch unter unserem Sonnensegel, da geht etwas Brise und man hält es ganz gut aus. Steffen holt irgendwann die Dusche aus dem Fond seines Campers und wir nehmen ein paar Fußduschen, benetzen die Schädel und befeuchten unsere Shirts. Was tut das gut! Unsere Mädels wollen sich jedoch nicht überzeugen lassen, einen Wet-T-Shirt-Contest durchzuziehen… nasse Füße finden sie okay 😉

Nach Sonnenuntergang wird es etwas angenehmer, es zieht wieder mehr Leute nach “vorn”.
Warm ist es natürlich immer noch, eine kleine Kosmetiksprühflasche mit Wasser ist die beste Idee des Tages. Aus Bier und Radler wird bei mir nun alkfreies Bier und Radler, da morgen Abreisetag ist. Das mochte auch ein Grund für meine Lethargie sein, die ich bisweilen an den Tag lege, ich sehne schon den Gig von Necrophobic herbei. 

Die Schweden boten dann mit ihrem Black Metal-lastigen Sound eine willkommene Abwechslung im eher von Death Metal Bands geprägtem POA. Dabei liefen NECROPHOBIC mit ihrer energiegeladenen und auf evilness bedachten Show zu einer geilen Performance auf. Die treibenden Rhythmen gepaart mit einem Gesang, der mich mit seiner Phrasierung eigenartigerweise an Martin Walkyier von Sabbat erinnerte, konnten den gut gefüllten Hanger am Samstag binnen weniger Minuten von sich überzeugen. Für mich neben Bölzer das heimliche Highlight des im gesamt tollen Wochenendes.

Krisiun gebe ich mir dann noch aus der Entfernung des Unentschlossenen vor dem Hanger stehend für die Hälfte ihres Gigs. Es ist schon geil, was das brasilianische Trio für einen fetten Sound fabriziert, dabei sich bei den Fans immer wieder zwischen den Songs bedankend und ihnen sinngemäß versichernd: “We are, as you, underground, and we always will be”. 

Ein schöneres Kompliment kann man dem Protzen Open Air und seinen Besuchern nicht machen.

Herr Kranz kam extra wegen Necrophobic mit dem Ofen zum Protzen gedüst.

Resümee 

Mir hat das “Protzen” super gefallen. Ich habe neue Menschen kennengelernt, dabei gestaunt, was einige in “ihrem”  musikalischem  Zuhause für Fachwissen angehäuft haben, konnte tolle Gespräche führen, geile Musik hören und sehen. 

Die Begrenzung auf ca. 1000 Gäste entspricht genau meinem Beuteschema.  Das Protzen hat eine wunderbare, ambitionierte Crew, die immer freundlich war, was bei dem Pensum und besonders bei den Temperaturen am Samstag Respekt verdient. Die kulinarischen Möglichkeiten gehen von einfach bis sehr lecker, einzig der 0,3er “Finkennapf” Bier für zweifufzich trübt den rundherum guten Eindruck.

Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal bei Andrea für das unkomplizierte Bereitstellen einer Fotoerlaubnis bedanken, die es mir ermöglichte, meinen Projekten auch auf dem Protzen nachzugehen. 

One Comment

  1. Rainer Krone August 9, 2019

    Du hast es wieder einmal geschafft, mitreißend ein wunderbares Festival zu beschreiben. Danke Peter, liebe Grüße aus Neuruppin

Comments are Disabled