Gesichter einer Szene No.73
Es ist mal wieder Weihnachten, genauer gesagt, ist heute Heilig Abend. Es gibt sicher nicht wenige Zeitgenossen, die sich heute in Stress üben, in dem sie noch irgendwelche Geschenke organisieren, sich selbst konsumberauscht beschenken oder schlicht im Supermarkt an der Kasse stehen. Ich bin in der komfortablem Situation, diesem Stress nicht anheim fallen zu müssen. Ich habe mich heute mit Danilo in Eisenhüttenstadt – oder wie der Einheimische sagt: Hütte – verabredet.
Wir kennen uns schon lange, ich war damals immer mal als Gast oder mit meiner Band in der damaligen Pestbaracke – welche dazumal tatsächlich noch eine Baracke mit angenehm räudigem Charme war. Dann verloren wir uns aus den Augen, trafen uns aber auf den letzten Veranstaltungen der „Pestbaracken“ Reihe wieder. Na und da dauerte es freilich nicht lange, bis wir uns darauf einigten, ein Portrait von Danilo für „Gesichter einer Szene“ anzufertigen.
Ich schwelge etwas in Erinnerungen, als ich meinen Wagen in das Wohngebiet lenke, in welchem zu meiner Kindheit meine Oma – komischerweise in der Familie „Oma Eisenhüttenstadt“ genannt – wohnte, und wo ich manches Wochenende zu Besuch weilte. Den Flug von Sigmund Jähn in den Weltraum zum Beispiel, erlebte ich völlig fasziniert am Fernseher meiner Oma in Hütte.
Ich warte ein paar Minuten an der elterlichen Adresse auf Danilo, dann steigt er freudig zu und wir fahren langsam voran, uns dabei ein paar Takte aus unserer Kindheit erzählend, mit dem Finger immer mal nach da und dort zeigend, in Richtung Zwillingsschachtschleuse am Oder-Spree Kanal.
Danilo könnte sich vorstellen, am Kanal auf einem dammähnlich höher gelegenen Weg zu fotografieren, ich bin gespannt, denn dort war ich schon ein halbes Menschenleben nicht mehr.
Als wir schließlich mit dem Fototrolley das schmale Asphaltband entlanggehen – dem recht unangenehmen kalten Wind trotzend – erzählt mir mein heutiger Protagonist, dass er sehr gern hier draußen ist und die Weite der nach Osten offen Natur genießt. Ich pflichte ihm bei, obschon mich der Wind und die Temperaturen etwas über Null gerade etwas anderes denken lassen 😉
Das versuche ich also jetzt mal zu verdrängen. Ich arbeite also fix und zielstrebig, beim Aufbau des unabdingbaren Blitzlichts und beim Einrichten des selbigen. Zwar wird der Weg auch von Joggern, Radfahrern und Hundebesitzern frequentiert, die Schlagzahl hält sich aber in Grenzen und wir können alles in allem einige Minuten recht ungestört fotografieren.
Für unser nun anschließendes Gespräch ziehen wir es aber dann doch vor, uns in mein Auto zu setzen. Ich starte die Recorder-App und es entspinnt sich ein sehr fruchtbares Gespräch mit Danilo, über seinen Weg als Metalhead, die Probleme die man als Musiker so zu umschiffen hat, und das Leben in welchem sich all das eingliedert.
Später bringe ich Danilo nach Hause, ich hatte ganz vergessen ihn zu fragen, ob der noch rechtzeitig zu Bescherung kommt 😉
Das Treffen mit Danilo empfand ich als sehr angenehm, auch, weil ich seit langer Zeit wieder so fotografiert habe, wie es eigentlich mal gedacht war. Meine letzten „Gesichter“ konnte ich aufgrund der Entfernung nicht einfach so besuchen, wir trafen uns also dort, wo es sich anbot: Konzerte oder Festivals. Das geht schon irgendwie alles, und ich bin mit den Ergebnissen absolut zufrieden, aber dennoch ist es auch irgendwie kompliziert. So rolle ich gen Guben mit dem Vorsatz die Fotosessions in Zukunft wieder öfter als eine eigenständige Sache zu organisieren.
Steckbrief:
Danilo (39) Testingenieur
Fan, Musiker
Danilos Onkels organisierten sich schon in den 80er Jahren in Neubrandenburg in einer Art Heavy Metal Club, was für den Steppke natürlich unheimlich interessant war, boten doch die Zimmer der Brüder mit ihren vielen Postern von Langhaarigen, krassen, zackigen Schriftzügen und Totenschädeln viel Raum zur Fantasie und Interpretation. Musik wurde in diesen Zimmer natürlich auch gehört, und auch, wenn es Danilos Mutter nicht so gern sah, hörte der Junge hier die ersten Tunes jener Musik, die später entscheidend sein Leben prägen sollte.
Als Heranwachsender beeindruckte ihn freilich auch diese „wilde“ Aura, welche seine Onkels umgab, wohl mit dem unsicherem Gefühl, auch so sein zu wollen. Der Fall der Mauer – Danilo war bereits AC/DC Fan – eröffnete ganz neue Möglichkeiten, Musik zu hören. Dazu musste man sie nicht unbedingt kaufen, denn nach und nach füllten sich auch die Bibliotheken im Osten mit Klassikern aus der Rockwelt, die darauf warteten, von Musikbegeisterten ausgeliehen zu werden. So wurden die Bibliotheken von Danilo gern und oft besucht. Je nach Taschengeldbeutel fanden auch Neuerscheinungen aus dem Metal ein zu Hause in Danilos Jugendzimmer, welches mittlerweile den Zimmern seiner Onkels verdächtig ähnlich sah.
Danilos Vater, selbst Musikfan, jedoch eher im Klassik verwurzelt, sah die Entwicklung Danilos zunächst durchaus skeptisch, kam aber nicht umhin, den Jungen auf die Musikschule zu schicken, da, Originalton Danilo: „…mein Vater die Nase voll hatte von dem ganzen Stagediving vom Bett und dem ewigem Luftgitarre spielen.“ 🙂 Eine gute Entscheidung, denn Danilo hatte tatsächlich Musik im Blut und liebt es bis heute, Gitarre zu spielen. Klar, Bands zu finden, Bands zu gründen, Bands am Laufen zu halten, all das ist immer auch eine Rechnung mit vielen Unbekannten, erfordert viel Kraft und Hingabe, aber Danilo schlug eben diesen Weg ein.
Nach der ersten Band, die sich eher im Deutschrock zu Hause fühlte, lernt Danilo neue Kumpels kennen, die auch Metaller sind, Fans traditionellen Metals, wie auch Typen, die ausschließlich dem Black Metal frönen sind darunter, mit denen macht er nun Musik, und nicht nur das.
Irgendwie gelingt es den Leuten in und um der Band eine der verlassenen Baracken am Rande des Stahlwerks zur Verfügung gestellt zu bekommen. Hier wird fortan geprobt und die “Pestbaracke” aus der Taufe gehoben. Ein Treff für Metal Fans aus Hütte und Umgebung, die ersten Konzerte werden organisiert. Erklärtes Ziel war es, „Metal“ Musik in die Region zu bringen.
Irgendwann folgt das Studium in Berlin, Danilo wendet sich eine Zeit lang anderer Musik zu um seinen Horizont zu erweitern. Stoner Rock, Jazz, TripHop; überall finden sich musikalische Perlen, die es zu entdecken gilt, bis sich für Danilo Jahre später der Kreis wieder schließt.
Danilo spielt nun seit sechs Jahren Gitarre bei Barreleye aus Berlin, hört mindestens eben solange wieder intensiv Metal, ist berauscht von der Vielzahl geiler Undergroundbands, besucht Konzerte und lebt seine Musik in vollen Zügen.
spielt Gitarre bei Barreleye
spielte bei Datonator und Secretum
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